Cotroneo, Roberto

Frag mich, wer die Beatles sind

Brief an meinen Sohn über die Liebe zur Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Insel, Frankfurt am Main 2006
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 84

Ein sehr persönliches Buch hält man da in den Händen, ja, auch ein ausgesprochen subjektives. Das ist dem Thema geschuldet, dem sich das kaum 160-seitige Büchlein widmet: der unmittelbaren und rational kaum zu klärenden Wirkkraft der Musik auf den Menschen und dessen Vermögen, Musik zu lieben und im Hören der Musik diese (und sich selbst) fühlend zu erfassen.
Roberto Cotroneo, selbst begeisterter Musikliebhaber (und ausgebildeter Pianist) wählt hierfür die Form eines langen, in sieben Kapitel gegliederten Briefes an den direkt angesprochenen (kaum achtjährigen) Sohn. In einer Art frei geführtem assoziativen Erzählfluss und in immer neuen Variationen leuchtet Cotroneo sein Thema aus. Ob nun gattungsgeschichtliche, stilistische oder alltagsfunktionale Aspekte der unterschiedlichsten musikalischen Erscheinungsformen angesprochen werden (Schwerpunkte finden sich u.a. zu Volksmusik, Kommerzialisierung, Orchestermusik der Romantik, Musiktherapie, Konzertwesen und Filmmusik); oder ob Komponisten- und Interpretenpersönlichkeiten jenseits jeglicher Rubrizierung wichtig genommen werden (z.B. Keith Jarrett neben Brahms, Tschaikowsky neben John Lennon, Nino Rota neben Chopin, Astor Piazzolla neben Mozart) – der Text verzichtet durchgehend auf den Ballast eines theoretisierenden Überbaus. Und durch den privat-fürsorglichen Duktus (der Vater-Rede an den kleinen Andrea) wird die eigentliche Ambition der Ausführungen überzeugend gestützt: in Worten über Musik schreibend deren faszinierenden Einfluss auf das Seelische jedes Menschen zu vermitteln.
Vielleicht ist es Cotroneo hier sogar gelungen, eine Art (poetisch gefärbte) „Kleine Philosophie der Musik“ zu entwerfen. Die erzählerische Leitidee jedenfalls liegt darin, all diese Facetten und Namen einzuweben in Geschichten von Menschen und deren Verbundenheit mit Musik: Wissenswerte Fakten stehen da imaginierten (Traum-)Szenen gegenüber, alltäglich-unspektakuläre Begebenheiten werden mit historisch Verbürgtem kontrastiert, persönliche Musikerlebnisse Einzelner ins Verhältnis gesetzt zu wissenschaftlich-gesicherten Erkenntnissen.
Allerdings: Was Cotroneo hier vorlegt, macht genauso staunen wie es eben doch auch leises Kopfschütteln provoziert. Denn dem Tonfall eines leidenschaftlich-sensiblen Plädoyers (als Chance) stehen das unnachgiebige Umkreisen der Hauptthese sowie eine ganze Reihe überflüssiger Pauschalierungen bzw. gewagter Superlative („…nur die Musik ist im Stande…“) und manch allzu apodiktische Formulierung (als Hypothek) entgegen.
Inhaltlich bleibt das Gesagte gleichwohl überzeugend; nicht zuletzt deshalb, weil es Cotroneo gelingt, musik-relevante Traditionslinien genauso in den Horizont zu rücken wie seinen Lesern den Anspruch einer musikalischen Unvoreingenommenheit plausibel zu machen. Und indem der Autor in seinem Buch nicht auftrumpfend, aber umso konsequenter und widerständig Position bezieht sowohl gegen Tendenzen der (musikbezogenen) Oberflächlichkeit und Geschmacksuniformierung als auch der Erklärungswut und Verfügbarkeitseuphorie, gewinnt es gerade darin seine eigentliche Wirkung.
Gunther Diehl