Reiffenstein, Ingo (Hg.)

Fort mit Dir nach Paris!

Mozart und seine Mutter auf der Reise nach Paris

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Jung und Jung, Salzburg 2005
erschienen in: das Orchester 12/2005 , Seite 71

Mozarts Reise nach Paris stand von Anfang an unter einem schlechten Stern und kulminierte, begleitet von mäßigem Erfolg des Wunderkinds in der Ferne, in einer familiären Tragödie: im Tod der Mutter im Juli 1778. Was diese Reise, die ein Jahr zuvor begann, für die Nachwelt so wertvoll macht, sind die vielen Briefe, die sich die Familie schrieb und die hervorragende Einblicke in die Familienstruktur sowie in die Kultur- und Sozialgeschichte des 18. Jahrhhunderts geben.
Wolfgang Amadeus Mozart, das Genie, das jeder zu kennen vermeint, war eine schillernde Persönlichkeit, die mannigfaltige Talente und Facetten besaß. Nur zu gern werden er, der Begabte, und seine ihn fördernde Familie mit abgegriffenen Klischees belegt. Wer aber waren Wolfgang und seine Eltern Maria Anna und Leopold Mozart wirklich? Was könnte darüber authentischer Auskunft geben als Briefe? Da es derer viele sind – bekannt ist Mozarts unbeschwertes, sich durch einen deftigen Wortschatz auszeichnendes Talent zu schreiben –, dürfen sie als Quelle ersten Ranges angesehen werden.
Eine editorisch wenig beleuchtete Nische spiegelt die Korrespondenz vom Herbst 1777 bis Sommer 1778 wider. Der junge Mozart befindet sich mit seiner Mutter auf der Suche nach neuen Auftraggebern außerhalb Salzburgs auf dem Weg nach Paris. Es soll eine beschwerliche, immer bedrückendere, enttäuschendere Reise werden. Der Vater, der seinen Filius gewöhnlich auf seinen Reisen begleitete – Mozart ist 3720 Tage, fast zehn Jahre seines Lebens auf Reisen –, ist in Salzburg nicht abkömmlich. Deshalb muss die Mutter dem Sohn zur Seite stehen. Es fällt ihr physisch und psychisch zunehmend schwer.
Der strenge Vater – und das machen seine Briefe nur all zu deutlich – dirigiert aus der Ferne. Nicht nur, dass er seine Familie rügt, wenn sie ihm nicht ordentlich Bericht erstattet, er greift auch massiv in die Pläne seines immerhin 21-jährigen Sohns ein. Als der unterwegs sein Herz verliert und mit der Angebeteten, einer Sängerin, nach Italien ziehen möchte, reagiert der Vater entsetzt. „Fort mit Dir nach Paris! Und das bald, setze dich grossen Leuten zur Seite“, schreibt er. Wolfgangs italienische Pläne seien für „kleine Lichter, Halb-Componisten, für Schmierer“. Da gibt es kein Vertun. Der Sohn gehorcht. Das ganze Unglück eines protegierten Wunderkinds wird subtil deutlich in Antwortbriefen an den Vater: „Ich küsse 100.000 dero Hände und bin dero gehorsamster sohn.“
Ingo Reiffenstein hat mit der Edition und sehr sorgfältigen Kommentierung der Briefe (eigenartigerweise werden die französischen Akzente konsequent verkehrt gesetzt) ein spannendes und äußerst lesenswertes Buch vorgelegt.
Christina Hein