Dinescu, Violeta

Forgetmenot

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Gutingi 246
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 74

Mit elf Solostücken für Flöte(n) von Violeta Dinescu präsentiert der ebenfalls aus Rumänien stammende Flötist Ion Bogdan Stefanescu ein Hörerlebnis, das man nicht so schnell „vergessen“ wird. Den Rahmen der einstündigen Performance, durch den Einsatz von Flöten in verschiedenen Lagen klanglich reizvoll erweitert, bilden sechs miteinander verwandte, Circuit genannte Stücke (I mit Piccolo, II mit Altflöte, III kontrastierend mit chinesischer Dizi flute und Kazoo, IV mit normaler Flöte, V mit Bassflöte und VI mit allen vier Flötengrößen). Dazwischen erklingen fünf Stücke mit eigenen Titeln: Immagini und Doru (normale Flöte), le double silence (Bassflöte), Immaginabile (Piccolo) und Forgetmenot (Piccolo, normale Flöte, Altflöte und Bassflöte). Die „Rundreise“, wie man „circuit“ u. a. auch übersetzen könnte, endet mit einem simultan aus Elementen der fünf bereits erklungenen Circuits zusammengefügten Stück: ein überzeugender Einfall, leider zu kurz.
Das deutsch- und englischsprachige Booklet informiert einfühlsam und ausführlich über die ausgewählten Stücke, den Flötisten und die Arbeitsweise der Komponistin. Stefanescu weiß die Freiheiten der bekanntermaßen stark bildlich ausgearbeiteten handschriftlichen Partituren Dinescus zu nutzen, er bringt ihre Musik geprägt und gefiltert durch seine Persönlichkeit zum Erklingen – eine ganz besondere Symbiose von Komponistin und Interpret. Brillanz und Subtilität seines auch die Stimme einbeziehenden Spiels sind bewundernswert locker und von überzeugender Präsenz, unterstützen die gestische Wirkung der Musik einer mit Erfolg auch für das Theater arbeitenden Komponistin. Staunenswert, welche klangliche Vielfalt er der Flöte zu entlocken vermag, melodisch und rhythmisch fraktioniert, zersplittert, fragil, fließend, in der Bewegung. Dass die Werke ihm gewidmet sind, versteht sich da von selbst.
Komponieren bedeutet für Dinescu, wie sie selbst sagt, die in ihr (und im Menschen überhaupt) vorhandenen Klänge real zum Klingen zu bringen. Ihr Streben nach Ausdruck zielt in erster Linie auf Klang, darüber hinausgehende Expressivität ist nicht unbedingt intendiert. Ihre Klangvisionen werden hier mithilfe erweiterter Techniken realisiert, wie sie sich in der Flötentechnik mittlerweile fest etabliert haben. Dass Zahlen und Proportionen die Basis für ihr Komponieren bilden, das hört man zwar nicht, es gibt ihr aber, wie sie sagt, eine gewisse Sicherheit. Eine Rolle in ihrer Musik spielt auch die rumänische Folklore, deren Elemente sie durch eine Art „Nachkomponieren“ von etwas, das schon lange existiert, mosaikartig einfließen lässt.
Im Gegensatz zum Konzert lässt die CD beim Hören die Wiederholung zu, auch in beliebiger Reihenfolge, um die Wahrnehmung zu aktivieren – dies besonders bei den Stücken, für die keine Noten zur Verfügung stehen. Nur Immagini, Doru und Immaginabile sind verlegt und daher nachspielbar. Stefanescus Vorschlag jedoch, zuerst alle Stücke hintereinander zu hören, und dann jeweils nur ein Stück an verschiedenen Tagen des Jahres (weil sich dadurch spirituelles Gefühl und Körpergefühl völlig verändern würden), stellt hoffentlich nicht die einzige Möglichkeit dar, das zu genießen, was in Violeta Dinescus „Zaubergarten“ geboten wird.

Ursula Pešek