Feldman, Morton
For Aaron Copland
für Violine solo
Morton Feldman hat es nie irgendwem leicht gemacht. Sich selbst nicht, den Interpreten nicht und dem Publikum schon gar nicht. Ich bin kein Befürworter von Werten des Establishments, noch bin ich jemand, der eine von vornherein festgelegte Funktion in der Gesellschaft hat. Unterhaltung und Virtuosität interessieren mich nicht, vielmehr eine Art Poesie, die so abstrakt ist, dass sie keine andere Funktion haben kann, als ein Gefühl von Erleuchtung zu erwecken. (Zitat nach Ad vant Veer: In memoriam Morton Feldman)
Feldman experimentierte mit grafischer Notation, verwarf sie dann wieder, verweigerte sich jeglicher Art von identifizierbaren Kompositionssystemen und vermied konsequent überschaubare Formstrukturen in der Absicht, an deren Stelle den Gesamtumfang einer Komposition ins Blickfeld zu rücken. Ihn interessierte das asymetrische, ametrische Element. Berühmt-berüchtigt ist die Länge mancher seiner Werke. Allein das 2. Streichquartett dauert bis zu fünfeinhalb Stunden. Auch heute, 18 Jahre nach seinem Tod, ist Feldman immer noch eine Reizfigur, an der sich die Geister scheiden.
Posthum ist jetzt bei Universal Edition ein kurzes (!) Stück für Violine allein aus dem Jahr 1981 erschienen: For Aaron Copland. Die Bedeutung des Titels will sich mir ehrlich gesagt nicht erschließen. Verschiedenartiger als die Klangsprache Feldmans von der Coplands kann Musik eigentlich nicht mehr sein. Um so mehr kommt mir bei der Durchsicht des kleinen Werks sofort ein anderer Name in den Sinn, derjenige von Feldmans Mentor John Cage. Cage veröffentlichte 1960 seine Six Melodies for Violin and Keyboard, Miniaturen, in denen jeweils vier oder fünf Tonhöhen minimalistisch verändert in Dynamik, Dauer und Farbe vorgetragen werden.
Feldmans For Aaron Copland beschränkt sich auf die Noten g, f, d, c, h, a, e, die con sordino in unterschiedlicher Länge und Farbe fest gegriffen, als natürliche oder als künstliche Flageoletttöne bei durchgehend einheitlicher mezzo-piano-Dynamik erklingen, unterbrochen jeweils von asymetrisch gesetzten 2/4‑Pausen. Was diesen Komponisten umtreibt, ist das Verhältnis von Klang und Stille, von Tondauer und Zeit, der Drang, Musik sämtlicher Äußerlichkeit und Eitelkeit zu entkleiden und zugleich dem Hörer das Erlebnis intensivsten Zuhörens, des einem jeglichen Bestandteil dieser auf extrem wenige Elemente reduzierten Tonstruktur Nachlauschens zu vermitteln.
Ich könnte mir vorstellen, dass das kleine Werk in einem Recital-Programm zeitgenössischer Musik strategisch geschickt platziert durchaus seine Wirkung zu entfalten vermag. In jedem Fall eine interessante Ergänzung des Repertoires und ein weiterer Beitrag zum immer noch kontroversen Thema Feldman.
Herwig Zack