Bach, Johann Sebastian
Flute Sonatas
BWV 1034, 1035, 1030, 1032 und 1013
Als Dokument seiner lebenslangen künstlerischen Entwicklung hat Peter-Lukas Graf jetzt die dritte Einspielung von Bach-Sonaten vorgelegt. Dass er auf seinem Instrument, der modernen Querflöte spielt, wird man ihm wohl kaum verdenken können, konsequenterweise wählte er diesmal als Partner-Instrument das Klavier. Obwohl es als Generalbass-Instrument im ersten Augenblick befremden mag, ist doch bei so gelungener Aussetzung und Klangregie nichts dagegen einzuwenden.
Die Reihenfolge der Werke ist wohldurchdacht: in der Mitte steht die Partita für Flöte allein, flankiert von je einer Solo-Sonate, eröffnend und schließend je eine Trio-Sonate. Graf zeigt sich in allen Stücken als zupackend brillanter Spieler, wenn seine Eigenwilligkeiten auch nicht immer konsensfähig sind. In der Partita überzeugt am meisten die abwechslungsreich gestaltete Allemande. Die Atembeherrschung des fast 76-Jährigen ist erstaunlich, sein Künstlertum hier über alles erhaben. Die Corrente lenkt die Aufmerksamkeit mehr auf Details, die versteckte Polyfonie geht verloren. Die Sarabande ist etwas zu schwer genommen, so fallen die affektfreien Verzierungen auf, die der Komposition nichts hinzufügen. Die Bourrée wird sehr poiniert gespielt, das Artikulationsgeräusch stört ein wenig.
Die beiden Continuo-Sonaten enthalten immer wieder schöne Details. Schade, dass in der e-Moll-Sonate das Adagio ma non tanto durch zu gleichmäßige Zweierbindungen und bis zum Stillstand zerdehnte Binnenkadenzen immer langsamer wird, und dass dieselbe Vorschrift im Kopfsatz der E-Dur-Sonate dazu führt, dass die Musik zu sehr im Sinne des galanten Stils gedeutet wird.
Der erste Satz der Trio-Sonate in A-Dur ist bekanntlich unvollständig überliefert, die hier zu hörende Ergänzung beginnt mit der von Alfred Dürr für Bärenreiter gemachten Fassung, von der sie die ersten 15 Takte verwendet. Danach folgen 23 von den Interpreten zu verantwortende, in Tonartenplan und Anordnung des Materials plausible Takte.
Allerdings werden die beiden Schlusstakte metrisch um einen halben Takt verschoben, sodass der Satz auf der Eins und nicht, wie aus den erhaltenen Takten des Autografs ersichtlich, auf der Drei endet.
Während die A-Dur-Sonate spielfreudig konzertant am Anfang steht, scheint mir die ihrer Bedeutung entsprechend an den Schluss gesetzte h-Moll-Sonate in ihrer Interpretation am meisten angreifbar. Das Tempo des ersten Satzes ist deutlich schneller als in anderen Aufnahmen, durch den stark ausgespielten Affekt erscheint der Satz aber länger, als er in Wirklichkeit ist. Die Vorschläge, hinsichtlich ihrer Ausführung beim Namen genommen, sind gewöhnungsbedürftig, was Zeitpunkt, Dauer und harmonischen Bezug betrifft. Im Ausdruck nicht gut getroffen ist der überdehnte zweite Satz, die hinzugefügten Verzierungen wären nicht nötig gewesen.
Vielleicht verträgt Bachs Musik tatsächlich weniger Freiheiten, als Interpreten sie sich gerne nehmen möchten; in Struktur und Gehalt einzigartig braucht sie die rechte Balance zwischen dem Objektiven des Notentextes und dem Subjektiven der eigenen Vorstellung. Trotz der Einwände: Nicht nur wegen des bemerkenswert gleichsinnigen und gleichberechtigten Zusammenspiels mit seiner Tochter Aglaia Graf kann Peter-Lukas Grafs dritte Annäherung an Bach Interesse beanspruchen, einerseits als bewundernswerte Leistung, andererseits, weil sie einen sinnvollen Vergleich mit Aufnahmen von Barock-Spezialisten erlaubt.
Ursula Pesek