Eespere, René
Flatus III
Bläserquintett (fl, ob, cl, corno, fag)
Als Joseph Haydn um 1756 eine neue Kammermusikgattung, das Streichquartett, entwickelte, war für die Bläser eine vergleichbare Formation noch lange nicht in Sicht. Bläserkammermusik gab es zu dieser Zeit nur mit paarweise besetzten Instrumenten als Militär- oder Unterhaltungsmusik, meist als Sextett oder Oktett. Die zündende Bläseridee, der veritable Mischklang für die einfache Bläserquintettbesetzung, hatte 1812 Anton Reicha. Damit war eine neue Besetzung geboren, die ein fester Bestandteil der Musikgeschichte wurde mit dem Vorteil einer größeren klanglichen Vielfalt als das Streichquartett. Der Mannheimer Franz Danzi komponierte neun Quintette für diese Besetzung und inspirierte damit in der Folge eine ganze Komponistengeneration, wie z.B. Gebauer, Lachner und Onslow. Namhafte und bedeutende Komponisten ließen diese Kategorie jedoch bedauerlicherweise außer Acht, weshalb sie zu keiner Zeit das kompositorische Niveau wie z.B. die Streicher- bzw. Quartettliteratur erreichte. Dennoch setzte sich der Erfolgsweg dieser Besetzung fort u.a. über Kleinmeister wie Tafanel und Klughardt und später bei Hindemith, Nielsen, Françaix und Ibert.
Nun hat sich ein weiterer zeitgenössischer Komponist dieser Gattung angenommen. René Eespere (* 1953) ist ein estnischer Komponist und gehört zu den bedeutenden, neuzeitlichen Tonschöpfern des Baltikums. Er studierte an der Estnischen Musikakademie und am Moskauer Konservatorium und war dort Assistent bei Aram Chatschaturjan. Seit 1979 unterrichtet er Komposition und Musiktheorie an der Estnischen Musikakademie. Eespere schrieb zahlreiche Vokalwerke und Kammermusik für wechselnde und interessante Besetzungen. Auffällig ist bei seinen Werken eine klare diatonische Melodieführung und eine ausgeprägte Ostinato-Technik. Diese kompositorischen Merkmale seiner typischen Tonsprache sind auch in seinem Quintett Flatus III (lat. Wind) zu erkennen. Dieses Werk folgt den Bläserstücken “Flatus I” für Trompete in C und Orgel (1998) und “Flatus II” für Flöte solo (2001). Das Quintett dauert ca. acht Minuten, ist durchkomponiert und gliedert sich in sieben kurze Teile, die sich in musikalischem Charakter und Spielart deutlich voneinander unterscheiden. Dadurch entsteht sowohl für die Spieler als auch für die Zuhörer ein sehr interessantes Spiel- und Hörerlebnis.
So eröffnen zwei leise, dissonante Akkorde das Stück mit einem Zwiegespräch zwischen Oboe und Fagott, dem sich dann im Forte das Tutti in bohrenden Staccati anschließt. Es folgen fließende Girlanden im Piano und Legato, solistisch oder im gemeinsamen Zusammenspiel, immer wieder unterbrochen und begleitet durch ostinate Staccati. Im Laufe des Stücks wechseln sich immer wieder ruhige, gesangliche Episoden mit ostinaten Rhythmen ab. Zum Ende erweitert und verlangsamt sich der musikalische Fluss im teilweise ruhigen synkopierten Viertel-Metrum. Damit klingt diese sehr reizvolle Komposition aus, die eine Bereicherung der Quintettliteratur darstellt. Die Eres-Neuerscheinung mit Partitur und Stimmen ist von sehr guter Qualität im Notendruck und in der Übersichtlichkeit des Notentexts.
Alfred Rinderspacher