Barber, Samuel / Robert Schumann
First Symphony op. 9 / Symphonie Nr. 4 d-Moll op. 120
Ein dirigentischer Showstar ist er nicht, sondern glücklicherweise weit mehr als das: Ein Musiker mit Verantwortung gegenüber der Musik und gegenüber den Institutionen und Personen, mit denen er zu tun hat. Die Rede ist von dem 1923 geborenen Dirigenten (und Pianisten) Wolfgang Sawallisch, einem der wichtigsten Dirigenten des deutschsprachigen Raums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Im Interesse der Deutlichkeit heißt ein 1988 erschienenes Sawallisch-Buch, und Deutlichkeit ist auch eine Qualität der vorliegenden CD: Sie enthält den Live-Mitschnitt eines Konzerts der Münchner Opern-Festspiele 2003, für das der langjährige Münchner Generalmusik- und Staatsoperndirektor kurz vor dem 80. Geburtstag aufs Dirigentenpult seines einstigen Bayerischen Staatsorchesters zurückkehrte. Es ist ein eindrucksvolles musikalisches Dokument, angesichts dessen man das eher peinliche Booklet mit seinen teils blassen, teils fehlerträchtigen Schnellschuss-Texten am besten ignoriert.
Samuel Barbers Symphony In One Movement op. 9 (1936) interpretieren Sawallisch und das Bayerische Staatsorchester so selbstverständlich, wie es für Musik des 20. Jahrhunderts nicht gerade selbstverständlich ist. Der Balanceakt zwischen Intensität, Pathos und Abstraktion, den Barbers Werk selbstbewusst wagt, kippt nicht in Eklektizismus ab. Was wie Anklänge an Bruckner, Sibelius, Bartók, Strawinsky oder wie Filmmusik wirkt und boshaft als Indiz für stilistische Sammelwut missgedeutet werden könnte, erscheint in dieser absolut ernsthaften und zugleich packenden Aufnahme als symphonische Äußerung, die von eigener Warte aus die symphonische Tradition mitbedenkt. Dabei verliert das Werk seine Hörer keinen Moment aus den Augen. Animiert von Sawallisch, der seit 1993 das Philadelphia Orchestra leitet, spielt das Bayerische Staatsorchester diese amerikanische Symphonie mit so viel Elan, Schattierungsreichtum, Übersicht und Fantasie, dass man sie glatt für ein Stück des gängigen Orchesterrepertoires halten könnte.
Für die Musik Robert Schumanns hatte Sawallisch ebenfalls schon immer eine gute Hand: Das merkt man auch an dieser Vierten (in der Druckfassung von 1851): Sie kommt energisch, klanglich kernig, doch nicht dick daher. Sawallisch hat ein Gespür für Schumanns Tempi (die kleine Tempospielerei zu Beginn des Finale-Hauptteils wäre wohl entbehrlich, stammt aber immerhin aus der Erstfassung von 1841). Charakterschärfe und symphonischer Fluss bedingen und verstärken sich gegenseitig. Nur an wenigen kleinen Rest-Unschärfen merkt man, dass die zwei hochkarätigen Aufnahmen aus einem wirklichen, einmaligen Konzert stammen. In diesem Konzert wurde die Musik nicht mit aufgesetztem Temperament geimpft. Hier war ein intelligenter Musikmagier am Werk, der mit einem vorzüglichen Orchester das aus den Noten herauslöste, was an Fantasie, Emotion und Ordnung in ihnen steckt!
Michael Struck