Gschwend, Ragni Maria

Figaros Flehn & Flattern

Mozart in den Fängen seiner Übersetzer, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Straelener Manuskripte, Straelen/Niederrhein 2006
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 89

Bis in die 1970er Jahre wurden die Opern vorwiegend in der Landessprache des Aufführungsorts gespielt, und da drei der wichtigsten Werke Mozarts auf italienischen Libretti beruhen, benötigte man dafür im deutschen Kulturraum entsprechende Übersetzungen. Doch Übersetzen bedeutet immer auch Interpretieren, was man besonders eindrücklich bei Così fan tutte, einem lange Zeit als moralisch äußerst fragwürdig geltenden Stück, nachvollziehen kann: Wenigstens die deutsche Textfassung sollte den anstößig empfundenen Inhalt auf den Pfad der Tugend zwingen.
Auch Die Hochzeit des Figaro war für die Entstehungszeit nicht unproblematisch. Seit 1787 sind fast zwanzig verschiedene deutsche Übersetzungen entstanden, wobei sich Ragni Maria Gschwend für ihren Vergleich auf Figaros Arie „Non più andrai“ beschränkt und eine erstaunliche Vielfalt dokumentiert: „Nun vergiss leises Fleh’n, süßes Kosen“ ist wohl inzwischen am gängigsten, doch 1788 hieß es zum Beispiel sehr holprig „Nun wirst du nicht mehr mit Schleifen und Bändern“, während es bei Goethes nachmaligem Schwager Christian August Vulpius im gleichen Jahr erstaunlich ungeschminkt zur Sache ging: „Nun geht’s nicht an Damen-Toiletten“. Poetischer, dafür erneut ziemlich unmusikalisch klang es 1844 („Nicht mehr gleich einem losen Schmetterling“), und am deutlichsten prophezeihte der Wiener Figaro von 1906 die wenig rosige Zukunft Cherubinos mit den Worten „Wo die Stürme der Schlacht dich umtosen“.
Gschwend gibt alle Varianten des Arientexts vollständig wieder und vermittelt in ihren Kommentaren einige Hintergrundinformationen (etwa zum gerade herrschenden Zeitgeist oder zu den Übersetzern). Wenngleich dies nicht wirklich spektakulär, dafür aber äußerst unterhaltsam und vor allem spannend geschrieben ist, wird es in den beiden Kapiteln über die Versionen von Siegfried Anheißer (1931) und Georg Schünemann (1939) unerwartet brisant: Hier skizziert Gschwend die zum Teil groteske Züge annehmenden Bemühungen, Mozart für das „Dritte Reich“ ideologisch passend zu machen: Die vor 1933 viel gespielte „jüdische“ Fassung von Herman Levi von 1895 sollte natürlich verschwinden und außerdem der Makel des gleichfalls nicht rassereinen da Ponte durch volksdeutsche Bearbeitungen wenigstens übertüncht werden.
Als kleines Schmankerl liegt dem Buch eine hörenswerte CD bei, auf der allerlei Arrangements der Arie aus dem zeitgenössischen Kuriositätenkabinett (beispielsweise für zwei Flöten oder drei Klarinetten) eingespielt sind. Der Bariton Dominik Hosefelder trägt außerdem die Arie in mehreren deutschen Fassungen vor – man hätte ihm noch Platz einräumen sollen, um sich zur Sangbarkeit der Übersetzungen zu äußern.
Georg Günther