Geck, Martin

Felix Mendelssohn Bartholdy

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Reinbek 2009
erschienen in: das Orchester 06/2009 , Seite 64

Robert Schumann urteilte über den Komponisten Mendelssohn Bartholdy: „Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt.“ Zweihundert Jahre nach Mendelssohns Geburt widmet sich das Gewandhausquartett Mendelssohns Streichquartetten und entdeckt ganz anderes als klassizistische Transparenz und Formvollendung in Widersprüche versöhnender Helle. Nämlich unversöhnlich Schroffes, Abgründiges, sogar Nihilistisches. Also etwas, das Sinn und Er(Lösung) verneint. Im Streichquartett f-Moll op. 80 rückt dem Zuhörer die unerhörte Expressivität stärker auf den Leib, als ihm lieb ist.
So genau wollten es die Nachgeborenen gar nicht wissen. Denn solche Töne kollidierten mit dem umlaufenden Bild, dem Klischee von Mendelssohn Bartholdy als genialisch und intuitiv arbeitendem Künstler von letztlich begrenzter Leidensfähigkeit. Er war, was kein Klischee ist, ein Mensch mit zahlreichen Talenten und wurde im Elternhaus mit allen Mitteln gefördert. Auch Geld war immer ausreichend vorhanden. Das größte Risiko für eine autonome Lebensführung lag in einer gesellschaftlichen Größe: seiner Rolle als Jude in Deutschland.
Eben damit eröffnet der Musikwissenschaftler und Kulturhistoriker Martin Geck seine kleine Monografie über Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Autor lehrte an der Universität Dortmund und leitet im 13. Jahr das dortige Internationale Bach Symposion. Geck schreibt: „Ginge es um nichts weiter als Musik, so wäre das Thema Judentum marginal… Weil jedoch Biografisches bei allem mit und in alles hineinspielt, kann man diesen Punkt unmöglich umgehen.“ Zumal es ja einer der Widersprüche der Zeit war, von denen Robert Schumann in seinem Urteil über Mendelssohn gesprochen hatte. Talent, vor allem Bildung als harte Arbeit an sich selbst war das eigentliche Entreebillet der Juden in die bürgerliche Gesellschaft; mächtiger noch, weil triumphaler als die Taufe. Felix, nach der netten Formulierung von Schwester Fanny, der „Haupthahn der Familie“, war der lebende Beweis für die emanzipierende Funktion von Bildung und Leistung. Abraham Mendelssohn beschrieb sich selbst als Sohn von Moses Mendelssohn, dem berühmten Philosophen, und als Vater von Felix, dem noch berühmteren Komponisten.
Martin Geck zeichnet ein Lebens- und Personenbild, das dem Leser keinerlei Hindernisse im Verständnis bietet, das aber dennoch kein braver Text ist. Er verfährt im Prinzip chronologisch, doch nicht detailversessen, sondern um bestimmte Fragen gruppiert. Daraus entstehen lebendige Porträts der jeweiligen Lebensabschnitte, die durch ausgewählte Anekdoten außerdem noch eine besondere Charakterfarbe erhalten. Geck tritt regelmäßig in Distanz zum Dargestellten, insofern er nicht nur die bekannten Klischees über Mendelssohn Bartholdy aufgreift, sondern auch vermeintliche Fehlurteile seiner Fachkollegen korrigiert und diskutiert. Der Leser bekommt auf diesem Wege trotz der Kürze und der Unterhaltsamkeit des Texts nicht nur einen Einblick in Leben und Werk Mendelssohn Bartholdys, sondern auch in deren Deutungen.
Kirsten Lindenau