Franz Liszt

Faust-Symphony/Mephisto Waltz

Staatskapelle Weimar, Ltg. Kirill Karabits

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: audite
erschienen in: das Orchester 01/2024 , Seite 66

Ein verlockender Gedanke: Franz Liszt als Personifikation Fausts. Gewiss: Hier ist nicht der Ort für Spekulationen. Dennoch lädt ein Blick nicht allein auf Liszts kompositorisches Œuvre, sondern auch auf seine Vita dazu ein, den Spuren Fausts nachzugehen. Mindestens ein Dutzend Kompositionen und Arrangements Liszts beschäftigen sich mit dem Stoff. Das Spektrum reicht von Klaviertranskriptionen Berlioz’scher und Gounod’scher Faust-Musiken über kleinere Chor- und Orchesterwerke bis hin zum Hauptwerk, der Faust-Sinfonie. Sie entstand zu großen Teilen 1854, drei Jahre später fügte er den Chorus Mysticus unter Einbeziehung von Tenorsolo und Männerchor als feierliches Finale hinzu.
Drängt sich angesichts einer Lebensbahn, die von Zeiten als gefeierter Virtuose (und „Salonlöwe“) über die Einsamkeit eines Gottsuchers in einer römischen Klause bis hin zu späten Jahren als Lehrmeister verlief, nicht geradezu dieser Gedanke auf: Liszt war Faust? Halten wir uns an die Fakten: Nicolas Dufetel stellt seinen im Booklet der vorliegenden Produktion zu lesenden Essay über Liszts Faust-Sinfonie in drei Charakterbildern unter das Motto „Die Geburt der Psychologie in der Musik“. In der Tat geht der Komponist in den drei großen Sätzen, die Faust, Gretchen und Mephisto gewidmet sind, weit über die Idee deskriptiver Programmmusik hinaus.
Wie grandios er dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt hat, macht die exzellente Neuaufnahme mit der Staatskapelle Weimar unter Leitung des ehemaligen Weimarer Generalmusikdirektors Kirill Karabits facettenreich hörbar: Allein das berühmte Zwölfton-Thema des Beginns erklingt tastend, (Gott-) suchend und zugleich nach Lösung drängend. Dem immensen Spektrum des Werks geben Orchester und Dirigent beeindruckende Gestalt. Wir hören dramatische Zuspitzungen, Klänge des zerwühlten Gemüts ebenso wie Triumphales im Faust-Satz, groteske Diabolik, schneidende Dissonanzen und orchestrales Feuerwerk im Mephisto-Satz, Innigkeit im berückend schönen Oboe-Solobratsche-Duo des Gretchen-Satzes. Das ausgezeichnet disponierte Weimarer Orchester wird im abschließenden Chorus Mysticus wohlklingend verstärkt durch die Herren des Weimarer Opern- sowie des Landesjugendchores Thüringen. Der spanische Tenor Airam Hernández – in der Weimarer audite-Produktion des Liszt’schen Opernfragments Sardanapalo war er bereits zu hören – besingt lyrisch und tonschön Goethes Hymnus auf das „Ewig Weibliche“.
Ergänzend erklingt eine Ersteinspielung: der dritte – auch in der originalen Klavierversion selten zu hörende – Mephisto-Walzer in einer Orchesterfassung von Alfred Reisenauer und Kirill Karabits. In punkto Harmonik mindestens so spannend wie der berühmte 1. Mephisto-Walzer, erfährt das vernachlässigte Werk hier ein dankenswertes – und durch raffinierte Instrumentation sogar bereichertes – Revival.
Gerhard Anders