Offenbach, Jacques

Fantasio

Sarah Connolly, Brenda Rae, Brindley Sherrat, Russell Braun, Robert Murray, Neal Davis, Opera Rara Chorus, Orchestra of the Age of Enlightenment, Ltg. Marc Elder

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Opera Rara ORC 51
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 79

Diese CD-Produktion erinnert einmal mehr nachdrücklich daran, dass Jacques Offenbach (1819-1880) noch immer zu den großen unbekannten Komponisten zählt. Denn nur allzu selbstverständlich bringt man mit seinem Namen eventuell die Entstehung der Operette in Verbindung, auf jeden Fall den weltweiten Triumph von Orpheus in der Unterwelt (1858) und die fünfaktige Oper Hoffmanns Erzählungen, die posthum fertiggestellt und uraufgeführt wurde. Das Werkverzeichnis aber listet mehr als drei Dutzend Bühnenwerke, von denen die meisten kaum mehr dem Namen nach bekannt sind – selbst in den einschlägigen Enzyklopädien (gedruckt wie online) gelangt man mehr oder weniger rasch an eine deutlich spürbare Wissensgrenze. Geschuldet ist dies freilich nicht nur dem Sprachproblem, dem einstmals wechselhaften Erfolg der Partituren und deren (mangelnder) Präsenz auf heutigen Bühnen, sondern auch dem oftmals desolaten Zustand des erreichbaren Aufführungsmaterials – einmal abgesehen von der Frage der vielfach divergierenden Pariser und Wiener Fassungen sowie den für den Bühnenbetrieb charakteristischen fortlaufenden Änderungen an der Werkgestalt.
Dies gilt auch für die Operette mit dem schönen Titel Fantasio, die überhaupt nur wenige Male inszeniert und aufgeführt wurde; nicht etwa, weil das Libretto oder die Komposition nicht die erhoffte Qualität gehabt hätten, sondern weil das ganze Stück im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 schlichtweg aufgerieben wurde. Nicht etwa, dass Offenbach der Ernst der politischen Großwetterlage entgangen wäre. Nur mussten die Proben der närrischen Komödie in Paris von jetzt auf gleich abgebrochen werden; später erschien das Werk mit seinem letztlich pazifistischen Anspruch den Revanchisten als verräterisch, und auf der anderen Seite des Rheins wollte man sich mit derart vorausschauendem Freigeist nicht recht abgeben (die Wiener Fassung stellt denn auch eine offenbar eigenständige Bearbeitung dar).
Von all diesen Problemen ist freilich in der geradezu vorbildlichen Einspielung aus dem Jahr 2013 nichts zu merken. Im Gegenteil wirkt die Produktion der originalen Pariser Fassung und Instrumentation so lebendig, so authentisch, dass nicht nur für das Werk, sondern (abermals) für den Komponisten eine Lanze gebrochen wurde. Neben dem hervorragenden Solistenensemble ist es auch das von Marc Elder geleitete, stets präsente Orchestra of the Age of Enlightenment, das mit seinem originären Klang die Spritzigkeit der ursprünglichen Partitur herausstellt – und so letztlich Lust auf mehr macht, vor allem auf mehr von diesem überaus geistreich parodierenden Offenbach, der sich quer zum Zeitgeist stellte. Wie nachhaltig eine CD-Produktion und die ihr zugrunde liegende Notenausgabe zünden kann, zeigt die aktuelle Inszenierung der Operette im Badischen Staatstheater Karlsruhe, noch am 16. Juni sowie am 3. Juli 2015 ein letztes Mal zu sehen (www.staatstheater.karlsruhe.de).
Michael Kube