Telemann, Georg Philipp

Fantasien und Partiten

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Campanella Musica C 130182
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 81

Telemanns Fantasien für Flöte solo auf der Oboe? Und gleich noch im Dutzend? Wer so denkt, unterschätzt nicht nur die Fantasie Telemanns, sondern auch die Vortragskunst des Oboisten (und ehemaligen Berliner Philharmonikers) Hansjörg Schellenberger.
Auch wenn der Komponist im Alter klagte, er habe sich „halb marode melodiert“ – man weiß nicht, was man mehr bestaunen soll: das Füllhorn der Formen, melodischen Einfälle und rhythmischen Finessen, das Telemann in den Fantasien für „Flûte traversière ohne Bass“ auskehrt, die er 1732/33 verlegte (also im ersten Jahrzehnt seiner Hamburger Zeit komponierte), oder die Anmut und Würde, die Gediegenheit, Galanterie und Empfindsamkeit des Oboenspiels, das Hansjörg Schellenberger den Flötennoten abgewinnt. Wobei er sich auf Telemann und die barocke Aufführungspraxis berufen kann: Der „Stadtkantor“ beherrschte beide Blasinstrumente, und seine Fantasien liegen und klingen auf der Querflöte und der Oboe gleich gut.
Schellenbergers Recital gleicht einem Meisterkurs in musikalischer Rhetorik. Man glaubt der vornehmen Hamburger Gesellschaft im Drillhaus beizuwohnen, wie sie parliert, charmiert und sich ziert, turtelt und tanzt, sich ereifert und schwärmt, klagt und zagt…
Was die Ausführbarkeit angeht, so sind die zyklisch gedachten Fantasien progressiv anlegt: Von A-Dur/a-Moll ausgehend, schrauben sie sich im Tonleiter-Sinne bis G-Dur/g-Moll empor, wobei der Schwierigkeitsgrad wächst, als wollte Telemann die Grenzen seiner Musici austesten. Wobei er die Formenwelt seiner Zeit virtuos ausreizt: Präludien, latent mehrstimmige Fugen, Variationen, französische und italienische Ouver-
türen, dazu alle erdenklichen Tanztypen der Barockzeit.
Schon 1716, also in seinen Frankfurter Jahren als städtischer Musikdirektor, erschien ein Bündel Partiten, das Telemann im Vorwort als Kleine Kammermusik bezeichnet. Der Zyklus besteht aus sechs Suiten mit Generalbass, welche „vor die Violine, Flûte traversière, wie auch vors Clavier, besonders aber vor die Hautbois nach einer leichten, singenden Art eingerichtet sind, also dass sich sowohl ein Anfänger darinnen üben, als auch ein Virtuose damit hören lassen kann“. Alle sechs sind ähnlich aufgebaut: Einem charakteristischen Einleitungssatz (Con affetto, Siciliana, Adagio, Grave, Andante, Affettuoso) folgen immer sechs kurze, meist tanzartige Arias – Stücke, die Telemann zweifellos dem häuslichen Musizieren zudachte. Im Beiheft ortet Schellenberger sie stilgeschichtlich triftig dem französischen Barock zu (genauer: Couperins Triosonaten Les Nations).
Durch Telemanns Vorwort autorisiert, steigert der Solist die Anmut der Arias, indem er die melodieführende Stimme wechselweise auf der Oboe, Oboe d’amore oder Blockflöte in C ausführt. Zudem ersetzt er das übliche Cembalo durch eine Liederharfe, die seine Frau Margit-Anna Süß meisterlich beherrscht. Sie gibt dem Continuo im Verein mit dem wendigen Kontrabass eine originelle Tönung.
Lutz Lesle