Widmann, Jörg
Fantasie
für Klarinette in B solo
Jörg Widmanns erstes veröffentlichtes Opus ist seinem eigenen Instrument, das er als konzertierender Solist exzellent beherrscht, gewidmet. Die Fantasie für Klarinette solo von 1993 ist das Werk des Zwanzigjährigen, der darin seinem Instrument alles gibt und abverlangt, wozu es fähig ist, ohne dabei die natürliche Klangerzeugung in Frage zu stellen. Geräuschhaftes wie in den vier Jahre später entstandenen Fünf Bruchstücken für Klarinette und Klavier wird hier noch sehr sparsam verwendet.
Einfallsreich ist der Beginn der siebenminütigen Fantasie: Ein Multiphonic-Klang, der als Dominantseptnonakkord auf F erklingt, wird unmittelbar in ein normal klingendes Arpeggio auf gleicher harmonischer Basis übergeführt. Dieses Ausgangsmaterial mit seinen tonalen Reminiszenzen wird entfaltet und ist auch für die Formgestaltung der Fantasie ausschlaggebend. Im weiteren Verlauf verlieren sich die tonalen Elemente. Glissandi in zumeist höchster Lage sind ein anderes dominantes Gestaltungsmerkmal.
Die Komposition lebt von einem auf engstem Raum stattfindenden Charakterwechsel. Die Motivik ist so markant, dass sich der Ausdruckswert unmittelbar erschließt und nur selten benannt wird (alpenländisch, tänzerisch, grotesk, komisch). Auch rhythmisch hat die Musik ein ausgeprägtes Profil. Insgesamt sprüht die Fantasie vor Spielwitz und lässt den buffonesken Charakter der Klarinette in vielfältigsten Schattierungen erscheinen.
Nicht viele Solostücke für Klarinette haben so unverwechselbare Konturen wie Jörg Widmanns Fantasie. Sie ist eine Herausforderung für jeden virtuosen Interpreten, aber trotz aller technischen Ansprüche ist es eine gut zu bewältigende Aufgabe, denn als Klarinettist hat Widmann ein Werk für die Klarinette geschrieben. Mit seiner ganz persönlichen Liebeserklärung an die Klarinette ist ihm eines der originellsten und beeindruckendsten Solostücke für dieses Instrument geglückt.
Heribert Haase