Pasculli, Antonio
Fantasia Italiana
Opera Fantasies for Oboe and Orchestra
Es gibt einen Franz Liszt der Oboe! Er heißt Antonio Pasculli, lebte von 1842 bis 1924 und
bereiste bereits mit 14 Jahren als Oboenwunderkind Italien, Deutschland und Österreich, bevor er mit 18 Jahren Professor für Oboe und Englischhorn am Konservatorium seiner Geburtsstadt Palermo wurde.
Mit Liszt hat er nicht nur das Virtuosentum gemeinsam; wie jener schrieb er auch eine Reihe von Opernparaphrasen. Eine Gattung, in der Liszt unbestrittener Meister der Klavierkomposition war, die aber auch mit Werken für Violine u.a. von Paganini, Sarasate oder Wieniawski bedacht wurde, war durch Pasculli nun auch für die Oboe entdeckt worden.
Ganz unbekannt war Pasculli in Oboenkreisen freilich auch vor Veröffentlichung dieser CD nicht. Taucht doch gelegentlich sein Omaggio a Bellini sogar als Pflichtstück für Englischhorn-Probespiele auf. Christoph Hartmann, Oboist bei den Berliner Philharmonikern, hat nun in der Bibliothek des Konservatoriums von Palermo weitere Originalhandschriften Pascullis gefunden und durch seine Einspielung diese Werke der Vergessenheit entrissen.
Und es hat sich gelohnt. Die auf der CD enthaltenen Fantasien über fünf Verdi-Opern sowie Donizettis Poliuto sprühen nur so vor Virtuosität. Christoph Hartmann interpretiert die Stücke mit viel Einfühlungsvermögen und stupender Technik. Dabei kann er alle Register seiner Kunst ziehen: Während in der einen Paraphrase durch häufige extrem schnelle Lagenwechsel der Eindruck von Zweistimmigkeit entsteht, dominieren in einer anderen (Un ballo in maschera mit Englischhorn) lyrisch-elegische Melodien, bei denen ausnahmsweise nicht die Virtuosität im Vordergrund steht.
Für den Opernfreund ist es interessant, welche Melodien Pasculli aus den jeweiligen Verdi-Opern für seine Paraphrasen ausgewählt bzw. eben nicht ausgewählt hat. Es handelt sich bei den einzelnen Werken nämlich nicht um ein Potpourri der beliebtesten Melodien einer Oper, sondern um Ausgestaltungen von nur wenigen Themen. Und so kommt es eben, dass man bei Rigoletto vergebens auf La donna è mobile wartet oder bei Trovatore auf die Stretta des Manrico. Dafür ist man dann überrascht, dass bei den Simpatici ricordi della Traviata, den liebenswerten Erinnerungen an Traviata, im Verlauf von Pascullis Bearbeitung zwei höchst unterschiedliche Themen übereinander gelagert gleichzeitig erklingen.
Die meisten der hier eingespielten Werke lagen von Pasculli nur in Fassungen für Oboe und Klavier vor. Wolfgang Renz, selber Oboist, hat sie mit sicherem stilistischen Gespür in Anlehnung an Verdi orchestriert, und die Augsburger Philharmoniker unter der Leitung von Rudolf Piehlmayer sind bei dieser in ansprechendem Klangbild erschienenen Aufnahme ein stets souveräner Partner des Virtuosen Christoph Hartmann.
Thomas Lang