Fantasia

Werke für Viola von Henry Vieuxtemps, Paul Hindemith, Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew, Gyögy Kurtág, Johann Sebastian Bach und Zoltán Kodály

Rubrik: CDs
Verlag/Label: VMS / Zappel Music VMS 149
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 94

Wie viel sprachliche Rechtfertigung braucht eigentlich eine musikalische Dramaturgie, um innere Folgerichtigkeit zu beweisen? Die Tendenz, mit wohlklingenden Überbegriffen Zusammenhänge zwischen offensichtlich nicht aufeinander bezogenen Werke herzustellen, treibt manchmal jedenfalls recht kuriose Blüten. Im vorliegenden Fall bemühen sich die Autoren des CD-Booklets nach Kräften, ein bunt gemischtes Solo-Programm des ungarischen Bratschers Vidor Nagy unter dem Obertitel Fantasia zu subsumieren. Da sich unter den versammelten Werken allerdings nur eine einzige „richtige“ Fantasie befindet, wird der Begriff flugs zum Synonym für den allgemeinen künstlerischen Reproduktions-Prozess umgedeutet: „Ob das einzelne Stück nun Prélude, Capriccio, Passacaglia oder Elegie heiße – der Interpret sucht stets nach dem Wesen der Fantasia, nach jenem Moment, das Kunst belebt und mitteilsam macht.“ Und als ob das nicht schon schwammig genug wäre, fügt Nagy selbst in einem eigenen Vorwort (mit krausen Verweisen auf japanische Haikus, Michelangelo und Disney) vertiefend hinzu: „Die Funken der Glut stieben nach oben wie ein feuriges Ross, das die entfesselte Fantasia symbolisiert.“ Selig, wer dem noch zu folgen vermag.
Dabei hätte es solch wortreicher Verteidigung gar nicht bedurft: Nagys Solo-Recital ist klug und stimmig komponiert, technisch souverän umgesetzt und musikalisch von durchaus hohem Reiz. Vieuxtemps’ barockisierendes Prélude und Bachs „modern“ anmutende Fantasia Cromatica bilden die Klammer für einige Klassiker der Viola-Literatur des 20. Jahrhunderts, für die Nagy auf seinem wunderbar sonoren und in allen Lagen hochwertigen Instrument vielfältige klangliche Nuancen zur Verfügung hat. Sein zumeist forscher Zugriff kommt vor allem der Bearbeitung von Prokofjews selten zu hörender Violinsonate op. 115 zugute, die Nagy mit ebensoviel Verve wie Witz musikantisch auf den Punkt bringt. Besondere Würdigung verdient auch die Aufnahme der fünf kurzen Jelek („Zeichen“) von György Kurtág, die in ihrer aphoristischen Prägnanz sicherlich eine Entdeckung darstellen. In Bachs chromatischer Fantasie betont Nagy eher die post-romantische Expressivität der Kodály’schen Bearbeitung als die barocke Pracht des Originals – eine Gratwanderung von überzeugender Doppelbödigkeit.
Manchmal hätte man sich ein wenig mehr Gestaltungskraft gewünscht: In Hindemiths Passacaglia aus der Sonate op. 11/5 verliert sich Nagy zunehmend im Dickicht der bravourösen Gesten, während Struktur und Richtung des Satzes ziemlich verloren gehen. Strawinskys Elegie wirkt ohne die nötige Strenge und Unerbittlichkeit fast behäbig und bei Vieuxtemps’ Capriccio gleitet der intime Gestus ein bisschen zu sehr ins unverbindlich Sentimentale ab. Hieran hat aber wohl auch die Tontechnik ihren Anteil, die einen allzu vorsichtigen „Sicherheitsabstand“ zur Viola einhält und den Klang dadurch sehr indirekt, bisweilen nur wie durch einen akustischen Schleier wahrnehmbar macht.
Joachim Schwarz

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support