Schleuning, Peter

Fanny Hensel geb. Mendelssohn

Musikerin der Romantik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2007
erschienen in: das Orchester 11/2007 , Seite 83

„[…] nur Zierde, niemals Grundbass“ ihres „Seins und Tuns“ sollte die Musik für Fanny Mendelssohn, später Fanny Hensel, sein. So wollten es ihr Vater und ihre ganze Familie. Und so wollte sie es auch selbst, jedenfalls glaubte sie es zu wollen – Ergebnis jahre- und jahrzehntelanger Gehirnwäsche. Wer sich mit der musizierenden und komponierenden Schwester des berühmten Felix Mendelssohn Bartholdy beschäftigt, wird sich des Gefühls von Empörung oder Bedauern über solche Einengung kaum erwehren können.
Und so schwingt es auch mit in der neuen Fanny-Hensel-Biografie von Peter Schleuning aus der von Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld herausgegebenen Reihe „Europäische Komponistinnen“. Anhand von Tagebucheinträgen und Briefen zeichnet der Professor am Institut für Musik der Universität Oldenburg das Leben der Künstlerin nach – von ihrer Kindheit über die Hochzeit mit dem Maler Wilhelm Hensel und die gemeinsame Italienreise bis zum frühen Tod der erst 42-Jährigen. Dabei wird deutlich, dass selbst der Bruder, zu dem Fanny doch so eine innige Beziehung hatte, sie nicht in ihren musikalischen Ambitionen unterstützte, sondern ihr letztlich immer neue Selbstzweifel einimpfte.
Fanny Hensel war hervorragend ausgebildet und sie bereicherte das Berliner Musikleben durch ihre berühmten „Sonntagsmusiken“, doch Letztere fanden stets vor einem geladenen, nicht vor einem zahlenden Publikum statt. An echte öffentliche Auftritte wagte sich die begabte Musikerin kaum heran. Zu lange war ihr eingebläut worden, eine Karriere sei mit ihrer Rolle als Frau nicht zu vereinbaren. Und auch die Entscheidung, mit der Herausgabe ihrer Werke zu beginnen, traf sie erst gegen Ende ihres Lebens – bis ein Schlaganfall ihre Herausgebertätigkeit sogleich wieder beendete.
Schleunings Buch ist, wenn es auch keine durchschlagend neuen Erkenntnisse liefert, umfassend in der Darstellung und wissenschaftlich korrekt: Eine Betrachtung der familiären und politischen Hintergründe, die das Leben der Komponistin prägten, findet ebenso statt wie eine kritische Auseinandersetzung mit den oft fehlerhaften Briefausgaben. Zudem gelingt es dem Autor, die Persönlichkeit der Musikerin – ihren Humor, ihre Moralvorstellungen – treffend und ehrlich zu charakterisieren sowie immer wieder die fast lebenslange psychische Manipulation durch ihr Umfeld herauszuarbeiten. Mit Spekulationen über fehlende Informationen wird angenehm sparsam umgegangen. Und nicht zuletzt stellt die Biografie als Mittelding zwischen Lehr- und Lesebuch zumeist auch eine angenehme Lektüre dar, wobei allenfalls die manchmal plötzlich stattfindenden Wechsel in eine tabellarische Auflistung von Ereignissen das Lesevergnügen trüben können.
Einzig für das Verständnis der im zweiten Teil enthaltenen Werkanalysen ist ein musikwissenschaftliches Hintergrundwissen unabdingbar. Doch wenn es vorhanden ist, bieten die Untersuchungen der Lieder, Chöre und Klavierwerke sowie der Orchesterouvertüre und der so genannten „Choleramusik“ interessante Erkenntnisse, was zum Beispiel die kreativen Lösungen Fanny Hensels im Bereich der Sonatensatzform angeht.
Julia Hartel