Hope, Daniel / Susanne Schädlich

Familienstücke

Eine Spurensuche

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 75

Schicksale: Die Lektüre dieses Buchs verlangt dem Leser einiges ab, wird er doch mit einer Vielzahl von Personen und höchst wechselhaften Zeitumständen konfrontiert. Der junge Geiger Daniel Hope hat sich intensiv mit seinen Vorfahren befasst und aus unzähligen Begegnungen, Gesprächen und Dokumenten eine Familiensaga zusammengestellt, die ihn „back to the roots“ führte und dadurch sein Leben bereicherte. Bei seiner Zeitreise bewegte er sich durch ein ereignisreiches Jahrhundert und einige Kontinente. Dabei wurden seine Vorväter (und -mütter) zu einem Teil seiner selbst. Die Erkundungen führten ihn von Südafrika, wo er geboren wurde und wohin seine Großeltern mütterlicherseits während der Nazizeit ausgewandert waren über England – englisch ist seine Mutterspache – nach Deutschland, wo er in Berlin seine Familienrecherche fortsetzte und abschloss.
Der britische Violinvirtuose, Jahrgang 1974, vergisst bei seiner Spurensuche nie die Musik. Sie grundiert seine Familienstücke. Daniel Hope ist geprägt von Yehudi Menuhin, seinem „musikalischen Großvater“, gehört seit 2002 neben Menahem Pressler und Antonio Menese dem berühmten Beaux Arts Trio an und lernte zahlreiche herausragende Künstler kennen, von denen er in seiner Biografie gleichfalls erzählt, von Klaus Maria Brandauer wie Mia Farrow, von Sting wie von Ravi Shankar und vielen mehr. Hope, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist und in Amsterdam wohnt, kann demnach als Prototyp eines Europäers gelten. Aufgrund seiner Herkunft legt er sich auf keine Nationalität fest, zumal er einen irischen Pass hat. Mit dieser Weltläufigkeit verbindet er die Fragen „Wer bin ich?“ und „Woher komme ich?“ Die Antworten darauf finden sich in seinem umfangreichen Buch, das mit einem weit verzweigten Stammbaum beginnt und mit einem Zitat seines Vaters endet: „Du bist eine gute Mischung: irisch, afrikanisch, britisch, jüdisch, deutsch.“
Der begnadete Musiker, der 2006 als „Instrumentalist des Jahres“ den Echo-Klassik-Preis erhielt, beginnt seine familiäre Bestandsaufnahme, die er zusammen mit der Berliner Autorin Susanne Schädlich schrieb, in der Gegenwart und führt den Leser dann weit zurück bis zu seinem irischen Urgroßvater Daniel Edward McKenna, dessen Grab er vor wenigen Jahren in Johannesburg auffand. Verzwickte Familienverhältnisse werden aufgedröselt und Personen ans Licht geholt wie seine Großtante Dee, die, nach Südafrika ausgewandert, Daniel Hope in einige Familiengeheimnisse einweihte, denn vieles wurde von den Familien Klein und Valentin, die von den Nazis aus ihrer Dahlemer Villa vertrieben wurden, verschwiegen. Sie emigrierten – wie die irischen Vorfahren väterlicherseits – nach Südafrika, versuchten dort, ihrem gewohnten Lebensstil treu zu bleiben, aber hörten auf, ihre Muttersprache zu sprechen. Zum Abschluss setzt der Autor seiner tapferen Urgroßmutter Margarete Valentin ein liebevolles Denkmal, denn sie war keine Jüdin, hielt aber zu ihrer verfolgten Familie und teilte mit ihr das schwere Schicksal der Emigration.
Heide Seele