Alain Steffen
Falsche Noten zählen nicht
Interviews mit Musikern III
Bereits zweimal hat der Musikjournalist Alain Steffen Größen der Musikbranche zum Interview gebeten und ist dabei tief ins Innere der musikalischen Welt vorgedrungen. Nun liegt der dritte Band dieser Gesprächsreihe vor und erneut bietet er einen mal nachdenklichen, mal heiteren Einblick in die Lebens- und Gedankensphären von Musiker:innen.
So erzählt der Dirigent Christoph Eschenbach, wie er Töne in Farben übersetzt, Florian Krumpöck beklagt, dass Schubert nicht genug Wertschätzung entgegengebracht wird, und Sakari Oramo sucht nach den Gründen dafür, dass nordische Orchester oft vom internationalen Musikgeschehen abgeschnitten sind. Jordi Savall erinnert sich, wie er vom Cello zur Gamba fand, die er neben seiner Dirigententätigkeit spielt, und Tang Muhai berichtet, wie er mitten in der Kulturrevolution in China eine „inoffizielle, geheime Musikausbildung“ absolvierte. Die Violinistin Isabelle Faust wünscht sich mehr kontroverse Diskussionen in der Musikwelt, der Tenor Andreas Schager geht der Frage nach, was ein Heldentenor eigentlich ist und Daniel Behle, Sänger und Komponist, bricht eine Lanze für die Operette. Es geht um historische Aufführungspraktiken, die nicht jeder schätzt, um Gustav Mahler und Anton Bruckner, den Christoph Thielemann als „sehr sinnlich und sehr verführerisch“ empfindet. Und nicht zuletzt auch um Politik, etwa wenn der amerikanische Dirigent Alan Gilbert bemängelt, dass viele Interpret:innen in Schostakowitschs Musik zuerst die politische Botschaft suchen und dabei ihre Nuancen und ihr philosophisches Potenzial vernachlässigen.
Dabei entsteht ein faszinierender Streifzug durch verschiedene Aspekte der Musik und die unterschiedlichen Sichtweisen ihrer Vertreter:innen. So bekennt die Komponistin Line Adam, dass zeitgenössische Musik sie nicht berühren kann, während die Mitglieder des Goldmund Quartetts es als ganz selbstverständlich empfinden, zeitgenössische Werke zu spielen, und gerade deren Vielseitigkeit schätzen. Und manchmal gehen die Gespräche auch über das rein Musikalische hinaus, wenn etwa Startenor Rolando Villazón über seine schriftstellerische Arbeit spricht oder der Architekt François Valentiny erläutert, worauf es bei der Planung eines Konzerthauses ankommt. Es ist ein Buch, das die Menschen auf der Bühne, hinter dem Instrument oder am Dirigentenpult zeigt und dem interessierten Leser profunde Einblick in das Denken und Fühlen der Befragten gewährt. Aufgelockert wird all dies immer wieder durch launige Anekdoten, wie jene, die der Dirigent Eliahu Inbal zu erzählen weiß: Bei einem Abend im Haus seines damaligen Lehrers Sergiu Celibidache nahm dieser ihn beiseite und sagte: „Inbal, Sie werden einmal ein großer Dirigent sein, aber Sie müssen noch zehn Jahre mit mir studieren, sonst werden Sie so jemand wie Bernstein.“
Irene Binal