España
Werke von Chabrier, Turina, Ravel, de Falla, Marquéz und Rodrigo
In ihren Aufnahmen widmet sich die Anhaltische Philharmonie Dessau nur selten dem Standardrepertoire, dafür erfreulich oft regionalen Kompositionen, etwa von August Klughardt oder Friedrich Schneider. Gelegentlich werden auch besondere Konzertabende mit Gewinn auf CD festgehalten, selbst wenn sie nicht unmittelbar zum Profil eines mitteldeutschen Orchesters zu passen scheinen. Unter dem Titel España hat das Orchester des Dessauer Theaters unter Leitung seines energischen Generalmusikdirektors Antony Hermus nun den Mitschnitt eines Sinfoniekonzerts mit iberischen Werken veröffentlicht.
Vereint sind darauf zentrale Werke der spanischen Orchesterliteratur, von Emmanuel Chabrier über Joaquín Turina, Joaquín Rodrigo, Maurice Ravel und Manuel de Falla bis zum Zeitgenossen Arturo Marquéz. Gemeinsam singen diese Meister ein Hohes Lied auf die regionale Vielfalt spanischer (Volks-)Musik. Doch bei aller Vergleichbarkeit hat natürlich jedes Stück sein eigenes Gepräge: Die 1883 komponierte España-Rhapsodie von Emmanuel Chabrier etwa, einem französischen Spanien-Fanatiker, gibt sich aufgedreht und eingängig, hervorragend instrumentiert, aber weder rhythmisch noch harmonisch besonders anspruchsvoll.
Demgegenüber sind die Danzas Fantasticas von Joaquín Turina und auch die drei Tänze aus dem Ballett Der Dreispitz (El sombrero de tres picos) von Manuel de Falla (beide 1919) deutlich mehr dem Impressionismus verpflichtet Tongemälde, die bisweilen auch in dunklen und bedrohlichen Farben aufgetragen sind und so dem Geheimnis einer Natur Raum lassen, die sich der Verfügung des Menschen entzieht.
Immer wieder überraschend ist trotz seiner Berühmtheit das 1939 entstandene Concierto de Aranjuez für Gitarre und Orchester von Joaquín Rodrigo: natürlich eine grandiose Hommage auf den Flamenco, aber zugleich eine künstlerische Verfremdung und Verfeinerung der stolz-herrischen Gebärde, die man (als ahnungsloser Deutscher) mit dem Flamenco in Verbindung bringt. Marlon Titre an der Sologitarre und die aufmerksam begleitende Anhaltische Philharmonie heben hervor, wie zart und an sich freundlich das Concierto gewebt ist, der zweite Satz hingegen eine atemberaubend schöne Trauerode. Gestampftes Testosteron findet sich da kaum.
Durchweg macht das Dessauer Orchester auf dieser Aufnahme eine gute Figur. Wie es sich in den vergangenen eineinhalb Jahren klanglich entwickelt hat, ist vielleicht am besten in Maurice Ravels Orchesterlied Alborada del gracioso zu hören, das den Interpreten größte klangliche Transparenz und Finesse abverlangt. Ganz am Schluss folgt dann mit Danzón No. 2 von Arturo Marquéz (1994) ein munterer folkloristisch-jazziger Exkurs nach Mexiko.
Die Atmosphäre des umjubelten Dessauer Konzertabends dringt von dieser CD jedenfalls bis ins heimische Wohnzimmer. Nur die spanischen Häppchen, die dazu gereicht wurden, muss man schon selbst machen.
Johannes Killyen