Moser, Edda
Ersungenes Glück
Erinnerungen und Gespräche. Aufgezeichnet von Thomas Voigt
Wenn man die Biografien großer Sänger zur Hand nimmt, lesen sie sich oft so wie das amerikanische Märchen vom Tellerwäscher bis zum Millionär. In Interviews werden gern die großen Stationen heruntergebetet: ein Jahr Provinz, dann Staatstheater, Vorsingen bei großen Dirigenten, Met, Scala, Bayreuth, große Kollegen, bedeutende Opernpartien. So bleiben die Illusion des Märchens und der Mythos der Primadonna erhalten.
Ganz anders in dem Buch von Edda Moser. Sie beschreibt schonungslos, was weniger bekannte Sänger täglich ebenfalls erleben:
eines Tages kam ein Angebot für ein Konzert in Berlin, mit Claudio Abbado. [
] Und da wollte mir der Bielefelder Dirigent keinen Urlaub geben wegen einer Lustigen Witwe, in der ich nur einen Satz zu sagen hatte! Da ist mir zum ersten Mal der Kragen geplatzt: ‚Wenn Sie mich nicht freigeben, verklage ich Sie! Zum Glück hat er nachgegeben.
Moser stellt sich die Frage, was sie so lange in ihrem Weiterkommen gehindert hat, warum sie so lange auf ein Wunder gehofft, so spät die Realität erkannt hat. Ihre ehrliche Antwort: Es war mangelnde Erfahrung, fehlendes Durchsetzungsvermögen und Dummheit. Damit begegnet
sie dem Verdacht derjenigen, die annehmen, dass eine solche Karriere das reine Glück sein muss, ohne jede Schwierigkeit, mit jeder Förderung. Sie schildert, wie ihr kurz vor einer Premiere eine Zweitbesetzung vor die Nase gesetzt werden soll, nur damit sie die Premiere nicht singt; oder wie sie für die Sopranpartie einer Oper engagiert wird und einige Zeit später erfährt, dass einfach eine andere Sängerin genommen wurde aus welchen Gründen auch immer. Der Weltruhm lindert diese schmerzlichen Erfahrungen nicht. Auch für berühmte Menschen sind Intrigen, Nachlässigkeiten, Respektlosigkeit schwer zu ertragen.
Aber Moser spricht auch über das Verhältnis der Sängerin zur Musik, zur Opernpartie, zum Lied. Angesprochen auf die Zusammenarbeit beim Don Giovanni mit einem bekannten Dirigenten sagt sie: O Gott, [
] nein, das ging überhaupt nicht. Weil keine Liebe in ihm war. Ein deutliches Wort, interessant im Zusammenhang mit ihrer Auffassung von Interpretation. Ich wage zu behaupten, dass alles, was wir auf der Bühne darstellen, in uns vorhanden sein muss: das eiskalt Berechnende der Königin der Nacht genauso wie die Lebensweisheit und Herzenswärme der Marschallin. Bei extremen Charakteren überlegt sie, was wohl passieren müsste, damit sie sich so verhält; auf diese Weise hat sie sich der Lucia, Salome, Elektra oder Senta genähert.
Angesprochen auf die mangelnde Anerkennung ihrer Leistung sagt sie, es liegt daran, dass sie mit Mozart bekannt geworden ist. Mozart singt man auf Zehenspitzen, da kann man sich nicht einfach so verströmen wie bei Puccini. Ihre Schüler können sich heutzutage kaum vorstellen, dass viel, viel Arbeit und eiserne Disziplin die Voraussetzung für eine solche Karriere sind und bleiben. Ein lesenswertes Buch für alle, die bereit sind, ihre Illusion vom Superstar aufzugeben und die Wirklichkeit hinter dem Vorhang zu akzeptieren.
Annette Brunsing