Harden, Ingo

Epochen der Musikgeschichte

Die Geschichte der europäischen Musik, inkl. 4 Audio-CDs mit über 500 Hörbeispielen im Schuber

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Gerstenberg, Hildesheim 2007
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 57

Im Zeitalter der vielfältig vernetzbaren optischen und akustischen Medien hat auch ein Buch über Musik die Chance, seinen Gegenstand nicht nur mit Worten zu beschreiben. Ingo Harden macht sich dies zunutze, wenn er seine Epochen der Musikgeschichte mit Klangbeispielen illustriert, durch die seine Darstellung von „Entwicklung und Formen der europäischen Musik“ an Nachvollziehbarkeit gewinnt. Auch der des Notenlesens Unkundige kann hier anhand von klug ausgewählten Tonaufnahmen sein musikhistorisches Verständnis erweitern, in klarer und punktgenauer Zuordnung von textlicher Beschreibung und detailliert untergliedertem Hörbeitrag.
Der Käufer dieses Werks, das über 400 Seiten Buchtext und eine vier CDs mit gut viereinhalb Stunden Spieldauer umfassende Kassette in einem Schuber vereinigt, sollte allerdings keine falschen Erwartungen hegen. Der Musikologe Ingo Harden, der als Redakteur und Autor in Rundfunk wie in Zeitschriften vielfach hervorgetreten ist, hat weder die Absicht, auch nur annähernde Vollständigkeit seines Gegenstands anzustreben, noch eine repräsentative Auswahl von „Meisterwerken“ der anerkanntesten Komponisten zu bieten. Diesbezügliche Erwartungen werden in seiner Auswahl eher enttäuscht, die etwa die beethovensche Symphonik übergeht und Verdi und Mahler ganz ausklammert.
Ausdrücklich will Harden sich auf „Anfangsstadien und wichtige Gelenkstellen in der Geschichte der Gattungen und Formen“ konzentrieren, „während zwischenliegende ‚Geradeaus-Strecken‘ unterbelichtet bleiben“. Der Benutzer, der diese Prämisse akzeptiert, wird tatsächlich „aus der Kombination der Medien Buch und CD so viel Honig … saugen“, wie es das Vorwort verspricht. Geschickt werden ihm gleich anfangs die verschiedenen Vortragsweisen des Gregorianischen Chorals im Spannungsfeld zwischen Text-Rezitation und musikalischer Ausgestaltung erläutert, und ebenso plastisch wird anschließend die Erweiterung und Ausschmückung des gregorianischen Kernbestands durch Tropen, Sequenzen und die sich entwickelnde Mehrstimmigkeit dargestellt.
Bis zur „Musik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“ reicht der Bogen, den Harden spannt, wobei die innere Linienführung nicht immer den im Obertitel genannten „Epochen“ folgt, sondern bei Betrachtung spezieller Formen und Gattungen schon einmal zeitliche Längsschnitte legt. So ist es etwa erhellend, wenn anhand der gleichen „Aria“ Händels der Unterschied zwischen (Händels eigenen) Figuralvariationen und Brahms’ späteren Charaktervariationen erläutert wird oder, was den Aspekt „Programmmusik“ betrifft, von den Vogelstimmen-Darstellungen der Barockzeit unmittelbar zu Respighi und Messiaen übergeleitet wird.
Erwähnen sollte man noch, dass die Ausführungen des Autors auch ohne die akustische Illustration gut lesbar sind und dass der Band neben den üblichen Registern und einem detaillierten Verzeichnis der Klangbeispiele noch eine Zeittafel enthält, die der Musikgeschichte synoptisch eine allgemeine Politik- und Kulturgeschichte gegenüberstellt.
Gerhard Dietel