Bizet, Georges / Jacques Ibert / Jean Françaix / Isaac Albeniz
entracte
Kammermusik aus Frankreich und Spanien für Holzbläser und Harfe
Diese erste CD-Einspielung des ensemble diX birgt zahlreiche Überraschungen. Den Namen der Formation wird man zunächst unwillkürlich französisch lesen und an eine zehnköpfige Musikergruppe denken. Die Benennung entpuppt sich jedoch als Reverenz gegenüber dem Maler Otto Dix, in dessen Geburtsstadt Gera sich die vier Holzbläser zusammengeschlossen haben. Fallweise Erweiterungen dieser Kerngruppe dies die zweite Überraschung um weitere Instrumentalisten, wie hier um die Harfenistin Liane Karwarth, ermöglichen darüber hinaus ein breites Spektrum an Originalliteratur und eröffnen reizvolle klangliche Möglichkeiten für Bearbeitungen aus der Feder des Klarinettisten Hendrik Schnöke.
Überraschend ist schließlich auch die Repertoiregestaltung unter der thematischen Klammer entr acte. Echte Zwischenaktmusik ist nur zu Beginn vertreten, in den kammermusikalischen Bearbeitungen der drei Entractes aus Georges Bizets Carmen, die zusammen mit dem so genannten Zigeunerlied aus dem 2. Akt den beiden erst posthum zusammengestellten Carmen-Suiten entnommen sind. Schon hier zeigen sich die Stärken des Ensembles: feinfühlig aufeinander abgestimmtes Musizieren, harmonischer Gesamtklang, bei dem dennoch jedes Instrument seine Charakteristik genügend herausstellen kann.
Im Mittelpunkt der CD steht indes nicht arrangierte Bühnenmusik, sondern originale Kammermusik des in Deutschland nur wenig bekannten französischen Komponisten Jacques Ibert, eines Zeitgenossen von Honegger, Milhaud und Poulenc. Ästhetisch jeder radikalen Avantgarde fernstehend, bewahrte Ibert weitgehend tonale Strukturen und klaren Formaufbau. Und so zeigen sich in den hier präsentierten, zwischen 1916 und 1935/37 entstandenen Stücken nur gelegentlich Modernismen wie Polytonalität (Cinq pièces en trio für Oboe, Klarinette und Fagott) oder damals aktuelle Tanzrhythmen (Slowfox im zweiten der Deux mouvements für Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott). Als wahre Trouvaillen erweisen sich die beiden eingestreuten Harfen-Stücke (Entracte für Flöte und Harfe sowie Scherzetto für Harfe solo), in denen dieses nur selten in der Kammermusik genutzte Instrument die ganze Breite seines Klangspektrums zeigen kann. Es handelt sich und dies gilt auch für das anschließende Bläserquartett von Jean Françaix um Salonmusik im besten Sinne des Wortes: gefällig, aber nie trivial, raffiniert in Rhythmik und Melodik, mit teilweise aparter Harmonik und Kontrapunktik, aber nie schwerfällig, verschwommen oder verstörend.
Da sich der Titel entracte auch als musikalische Brücke zwischen Frankreich und Spanien versteht, werden die französischen Idiome Iberts und Françaix durch iberische Klänge eingerahmt. Dem Beginn mit der pseudo-spanischen Carmen-Musik setzt die CD am Ende mit drei Bearbeitungen aus der original für Klavier komponierten Suite espagnole von Isaac Albéniz einen markanten Kontrapunkt echter spanischer Folklore entgegen. Von den ausgewählten Stücken dürfte Granada am bekanntesten sein, aber auch die beiden anderen, Cuba und Aragon, sind nicht weniger ansprechend und charakteristisch.
Fazit: Dem eigenen Anspruch, eine Entdeckungsreise in die musikalischen Landschaften zwischen Paris und Sevilla (eigener Werbetext) anzubieten, wird diese CD mit technisch wie musikalisch souveränen Solisten auf äußerst sympathische Weise gerecht und man darf auf weitere Entdeckungen im weiten Feld der ungewöhnlichen Klangkombinationen gespannt sein.
Peter Jost