Willi, Herbert
eirene / räume / …geraume Zeit… / begegnung / rondino nach der Oper “Schlafes Bruder”
Zwischen Elbe und Oder ist er nahezu unbekannt. Gehör findet der österreichische Komponist Herbert Willi hingegen an Donau, Salzach und Isar. Und an der Saar. Wie die vorliegende Einspielung bezeugt, fand der in Vorarlberg, dem westlichen Wurmfortsatz der Alpenrepublik geborene und lebende Komponist (Jahrgang 1956) im Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken einen glühenden Verfechter seiner Orchestermusik. Hört man die fünf hier dokumentierten Orchesterwerke von insgesamt 78 Minuten Dauer durch, so fällt vor allem eines auf: Willis Orchesterlandschaft scheint das Wesen der Natur zu spiegeln, der er entstammt und in die er nach seiner Ausbildung in Wien (Helmut Eder, Boguslav Schäffer) und Paris (Messiaen) heimkehrte. Ihr Charakter ist gegensatzbestimmt: lieblich grüne Flusstäler vor schroffem Felsgebirge.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Willi ist kein Landschaftsmaler, der die Natur abpinselt. Er bannt die ihn umgebende Natur mit der Wünschelrute seiner autonomen Tonsprache. Was er in Tönen bewahrt, ist der Grundgestus des Widerspruchs, den die Natur sinnbildhaft zur Schau trägt: jene Antinomie, die auch Gustav Mahler in seinen Symphonien immer wieder austrug Naturlaut und Menschenlärm, Stille und Aufruhr, Idealwelt und Juste-Milieu, Arkadien und Breughelland, Himmel und Hölle. Insoweit folgen alle hier aufgezeichneten Werke ein- und demselben, in gewissem Sinne naiven Grundmuster: Immer wieder lockt der Komponist seine Hörer auf eine Insel der Seligen, um sie plötzlich und unerwartet, mit ordinärem Krach und Gepolter aus dem Paradiesgarten zu vertreiben.
Frieden bedeutet der altgriechische Titel eirene, den Willi seinem (2002 im Auftrag der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde entstandenen) Trompetenkonzert gab, das er dem Virtuosen Reinhold Friedrich zudachte. Entsprechend vielfältig und vielfarbig bringt es dessen virtuose Tonkunst zur Geltung. Zwei idyllisch zurückgenommene Sätze von bestrickendem Wohllaut fassen einen scherzoartigen Mittelsatz ein, wo der Trompeter zeigen darf, was er kann und wonach ihm zumute ist (zum Beispiel nach swingenden Jazz-Reminiszenzen). Wie der Maestro hier zwischen C- und hoher B-Trompete wechselt, so bekommen auch die Solisten des Konzerts für Flöte, Oboe und Orchester mit dem Pünktchen-Titel
geraume zeit
Gelegenheit, das Farbenspektrum von Altflöte, großer Flöte und Piccoloflöte bzw. Oboe und Englischhorn zu entfalten. Der Soloflötist der Wiener Philharmoniker, Wolfgang Schulz, und sein Berliner Oboen-Kollege Hansjörg Schellenberger sind die inspirierenden Adressaten dieser Komposition. Auch in dem vierteiligen Doppelkonzert treffen wieder Seligkeit und Gewalt aufeinander, Vogellaut und Paukengedröhn, Entrückung und Totschlag. Beide Konzerte sind Teile des Zyklus Montafon rätoromanischer Name einer Landschaft in Vorarlberg. Nomen est omen.
Dem Doppel- oder Mehrfachsinn des Titels
geraume zeit
wird auch das Orchesterpoem Räume gerecht, indem es sich in der Vorstellung des Komponisten in ein geheimnisvolles Zimmer eines Hauses in einer verwunschenen Zone zurückzieht wie im Film Stalker von Andrej Tarkowskij. Das Rondino für Orchester zehrt von Themenmaterial seiner 1996 in Zürich uraufgeführten Oper Schlafes Bruder: scharfkantig, knallig, steinschlagartig die Refrainteile friedlich, idyllisch, voll seliger Sehnsucht die Couplets. Insgesamt eine darstellerische Herausforderung, der sich die famosen Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken mit einer Unbedingtheit stellen, als ginge es ums Leben.
Lutz Lesle