Midori

Einfach Midori

Autobiografie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 75

Welch ein Leben! Ein geigendes Wunderkind. Durchbruch mit elf Jahren, Beginn der internationalen Konzerttätigkeit mit zwölf. Sponsoren, die ein wertvolles Instrument schenken; exklusive Plattenverträge. Unterricht bei der Mutter und „der DeLay“, ab 16 entgegen allen Empfehlungen und Vorhersagen erfolgreiche Autodidaktin, Beherrscherin des gängigen wie des ausgefallenen Repertoires. Eine Musikerin, die auch noch ihren Universitätsabschluss in Psychologie erlangt, die sich ambitioniert für Jugendliche und Völkerverständigung einsetzt. Bewunderer auf der ganzen Welt.
Welch ein Leben! Nach unbekümmerten Kinderjahren ein Dasein voller Entbehrungen in einem Raum ohne Heizung. Eine sich aufopfernde Mutter, die ihren eigenen Beruf und ihre Sicherheit aufgibt, die ihren Ehemann verlässt und deshalb im konservativen Japan geächtet ist, die alles riskiert und alles einem einzigen Ziel unterordnet: ihr einziges Kind zu fördern. Ein zehnjähriges Kind, das aus seiner Heimatstadt Osaka herausgerissen wird für einen Neuanfang im fernen Amerika, dessen Sprache es nicht versteht. Ein Scheidungskind, das vom Vater mit einem Messer attackiert wird. Eine junge Frau, die dem eigenen Anspruch und dem der anderen nicht gerecht zu werden glaubt, die mit schwersten Ess- und Schlafstörungen und Depressionen stationär behandelt wird und ihr Instrument fast an den Nagel hängt. Ein Leben, das in seiner Vielschichtigkeit sicherlich berichtenswert ist.
Midori, die durch die Geige und die Musik zum Leben, Lernen und Schreiben fand, hat ihre Autobiografie veröffentlicht. So zwiespältig wie ihr Leben ist auch dieses Buch. Ein schönes Buch: Gestaltung, Schriftarten, Coverfoto. Beachtlich in der Offenheit, mit der über persönlichste Probleme und das Erwachsenwerden gesprochen wird. Die Erzählweise hingegen ist häufig naiv. Um variablen Ausdruck wird gerungen, es findet sich so mancher Stilbruch. Narrative Plaudereien wechseln ab mit philosophischen Gedanken, die zu oft plakativ wirken („Das Leben ist, was es ist.“). Man kann sich des Eindrucks von bewusstem Understatement und penetranter Betonung der Einzigartigkeit, der Bescheidenheit und Selbstlosigkeit nicht erwehren. („Mein Leben ist weiterhin von einer unglaublichen Energie bestimmt.“) Besonders anfangs noch wenig in die Tiefe gehend, erregt die Darstellung echte Anteilnahme erst bei der Schilderung des Krankheitsverlaufs. Auch hier jedoch ist man erstaunt, wie abrupt Midori zunächst der „Hölle Perfektion“ den Rücken kehrt („Ich will nicht mehr spielen.“), quasi zwei Zeilen später doch „der Musik eine zweite Chance“ gibt und den widersprüchlichen, so gar nicht passen wollenden Schlusssatz verlauten lässt: „Der hat die Macht, an den die Menge glaubt.“
Die geneigte Leserin und der Fan freuen sich allemal mit Midori an ihrer musikalisch-menschlichen Auferstehung.
Carola Kessler