Schneider, Frank

Eine Welt auf sechzehn Saiten

Gespräche mit dem Vogler Quartett

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berenberg, Berlin 2015
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 70

Über den Mythos Streichquartett ist viel geschrieben worden. Die Königsdisziplin der Kammermusik hat so manchen mehr oder weniger treffenden Vergleich provoziert. Und noch immer genießen die ganz, ganz großen Quartettspieler eine gewisse Sonderstellung unter ihren Kollegen. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Tatsache ist aber, dass wohl kein anderes kammermusikalisches Genre in dieser Weise zur Ausdifferenzierung eines relativ eigenständigen musikalischen Berufsbildes beigetragen hat: des Quartettspielers. Die Entscheidung, Quartettspieler zu werden, mag in jeder europäischen Kultur eine überaus weitreichende sein, die Musikstudenten umtreibt und wahrscheinlich manche Nacht nicht schlafen lässt, die tief ins Gewissen von Orchesterstelleninhabern hineinbohrt. Weiter reichend als der Schritt vor den Traualtar ist sie allemal.
Für die Musiker jenes Ensembles, das mit diesem Buch sein 30-jähriges Bestehen feiert, allerdings umso mehr. Wie so vieles andere wird das nur zu deutlich, liest man die in Gesprächsform verfasste Ensemble-Biografie. Die Gründung eines Berufsquartetts in DDR-Zeiten – eigentlich war das im System gar nicht vorgesehen; doch mit dem Sieg bei internationalen Wettbewerben sicherten sich die Mitglieder des Vogler Quartetts über eine weltweite Wahrnehmung auch gewisse Freiheiten.
Frank Schneider, langjähriger Wegbegleiter des Quartetts, taucht im Gespräch mit Stephan Forck, Stefan Fehlandt, Frank Reinecke und Tim Vogler tief hinein in drei Jahrzehnte – nicht nur musikalischer – Gemeinschaftsexistenz. Liebenswert und abenteuerlich treten die vier Protagonisten mit ihren Projekten plastisch hervor. Eine ungewöhnliche Vita schreit nach ungewöhnlicher biografischer Darstellung. Die Interviewform ist da mehr als schlüssig, lässt Ideen lebendig werden und gibt allen Akteuren gleichermaßen Raum zur Reflexion.
Frank Schneider erzählt mit den Gesprächen Musikgeschichten und schreibt dezent Musikgeschichte, eine, die ebenso spannend ist wie wichtig; und nicht nur in musik-, sondern in allgemein kulturhistorischer Hinsicht ist dieses Buch von außerordentlichem Interesse, werden doch Begebenheiten geschildert, die bezeichnend sind für die jeweiligen Musiksysteme. Besonders bedeutsam erscheint insofern die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der politischen Umbruchzeit. Unterhaltsam zu lesen und dennoch vielsagend sind Anekdoten und Erlebnisberichte.
Die Ansichten der Ensemblemitglieder zu Kunst und künstlerischer Arbeit, zu Quartettspiel und Lehrtätigkeit laden zur mehrfachen Parallellektüre ein – denn die Welt auf sechzehn Saiten spiegelt immerhin vierfach Lebenserfahrung und Weltsichten mit acht Augen. Ein Buch für Musiker und interessierte Laien gleichermaßen, das der Berenberg-Verlag in eleganter Aufmachung zum attraktiven Preis herausgebracht hat.
Tatjana Böhme-Mehner