Frei, Marco

Eine Leistungsgesellschaft nimmt Musik nicht ernst

Konstantin Wecker über seine Kinderprojekte mit dem Münchner Rundfunkorchester

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 07-08/2008 , Seite 28
Seit jeher gibt es eine enge Verbindung zwischen Konstantin Wecker und dem Münchner Rundfunkorchester. Es sind nicht zuletzt die Kinderprojekte des bayerischen Liedermachers und des BR-Ensembles, die vor einigen Jahren starteten und von Anfang an Furore machten. Wecker erläutert den Ansatz seiner Kinderprojekte mit dem Münchner Rundfunkorchester und die generelle Bedeutung von Musikvermittlung.

Konstantin Wecker mit dem Münchner Rundfunkorchester
“Pinocchio” mit Konstantin Wecker als Gepetto, Adrienn Krekácz als Pinocchio
und dem Münchner Rundfunkorchester

> Volle Häuser, begeisterte Kinder – Herr Wecker, warum kommen Sie Ihrer Meinung nach bei jungen Menschen so gut an?
Ich glaube, weil ich ihnen auch auf der Konzertbühne auf gleicher Ebene begegne. Ich habe überhaupt keinen belehrenden Anspruch, aber ich habe schon einen pädagogischen – für mich selbst.
> Welcher wäre?
Mir ist wichtig, Kindern die Welt der Ideen zu vermitteln und die Poesie zu lassen. Wirkliche Poeten und die Poesie überhaupt haben das Gleiche, was Kinder können. Da kam ich erst in jüngsten Jahren drauf: Die Poesie kann mit zwei, drei Wirklichkeiten gleichzeitig leben. Sie braucht nicht eine Realität, sie kann übereinander schachteln, das können Kinder auch. Ein Kind weiß, dass es das Christkind nicht gibt. Wenn aber Weihnachten ist, gibt es das Christkind. Es lebt mit diesen beiden Wirklichkeiten, in der Traumwelt und in der so genannten Realität.
> Viele Künstler haben mir gesagt, dass das Eingestehen von Schwächen ein wesentlicher Aspekt für eine erfolgreiche Kinder- und Jugendarbeit sei, und dass man den jungen Menschen dies deutlich machen solle. Sehen Sie das auch so?
Auf jeden Fall. Das sehe ich auch bei meinen eigenen Kindern: Ich habe mich schon oft bei ihnen entschuldigt. Da sehe ich keinen pädagogischen Mangel, ganz im Gegenteil. Ein Papa ist ja auch nicht perfekt. Mein Kleinster, der Tamino, hatte sehr viel Angst, auch vor anderen Kindern. Da habe ich ihm gesagt: „Du, das macht überhaupt nichts. Ich habe auch oft Angst.“ Da hat er mich mit großen Augen angeschaut. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Vater auch mal Angst hat. Und da ist natürlich auch meine eigene Biografie. Sie wissen doch von meinen Drogengeschichten Mitte der 1990er Jahre, oder?
> Ja, aber ich hätte es nicht angesprochen. Weil das Thema abgehakt ist und auch ein ehemaliger Drogenkonsument ein guter Pädagoge sein kann.
Alles – auch das, was öffentlich geworden ist – schadet nicht in der Musikvermittlung von Kindern und Jugendlichen. Weil sie sehen, dass das, was ich bin, authentisch ist. Und sie spüren das auch. Ich kann, glaube ich, wirklich sagen, dass mich Kinder mögen.
> Was muss man beachten, wenn man für Kinder Musik schreibt?
Ich habe mich stets bemüht, Kindern keine gängige Kost zu bieten, die sie vom Radiogedudel her kennen – also kein „Mainstream“. Du brauchst für Kinder immer eine Melodie, das ist ganz wichtig. Aber man kann die Melodie etwas ausführen, durchführen, verfremden. Und du brauchst Lieder, einfache natürlich: Vers, Refrain, Vers, Ref – rain. Wenn wir Glück haben, ist’s eine schöne Melodie, die bei den Kindern hängen bleibt. Kinder können ja ein und dasselbe Lied fünf – zig Mal hintereinander hören. Wahnsinn! Und schließlich ist mir wichtig, den Kindern die Klänge echter Instrumente zu vermitteln.
> Warum?
Weil sie in neunzig Prozent der Kinderproduktionen kaum mehr vorkommen. Im Studio werden Schlagzeug, Bass und Keyboard zusammengemischt – mit oftmals sehr netten Melodien, da gibt es gar nichts zu sagen. Aber es ist halt größtenteils irgendwie lieblos gemacht. Die Krux an Kommerzmusik ist, dass man irgendwannnstantin Wecker nicht mehr weiß, wie eine Trompete wirklich klingt. Deswegen ist es so schön, mit dem Münchner Rundfunkorchester zusammenzuarbeiten. Bei einem Konzert haben wir zuvor den Kindern die Inst – rumente erklärt und über Orchester geredet. Wir haben den Or – ches tersound vom Keyboard mit dem echten Orchesterklang verglichen, und da habe ich gesagt: „So klingt das mit einem echten Orchester, und jetzt sagt doch mal ehrlich – so ein Orchester darf doch nicht aufgelöst werden, oder?“
> Was haben die Kinder geantwortet? Doch nicht etwa: „nein“?
(lacht) Erraten, genau. Was das Münchner Rundfunkorchester macht – auch ohne mich –, ist einfach großartig. Das ist für sie kein normaler Dienst, sondern man hat das Gefühl, dass sie Freude dabei haben. Ich kenne auch andere Fälle: Da spürt man das Nase – rümpfen der Musiker schon im Ansatz. Beim Münchner Rund – funk orchester ist kein Naserümpfen dabei.
> Seit wann kennen Sie das Münchner Rundfunkorchester?
Viele Musiker kenne ich persönlich noch vom Studium, beim eins – tigen Chefdirigenten Kurt Eichhorn habe ich zwei Semester Korrepe – tition studiert. Das erste Projekt mit dem Orchester und mir war in den 1990ern unter Peter Herbolzheimer: Konstantin Wecker Classics hieß das Programm, eine sehr erfolgreiche CD. Das ist also eine lange Tradition. Wenn ich eine Probe mit ihnen habe, begrüßen wir uns wie Freunde. Es gibt eigentlich keinen, den ich nicht auch persönlich kenne. Ich finde, dass das einfach ein toller Klangkörper ist. Im Vergleich zu anderen Orchestern sind sie offen für Experimente, auch für leichte Musik. Einige haben auch Erfahrungen mit Jazz. Und Hornist Franz Kanefzky, den ich vor vier Jahren für mich entdeckt habe, macht fantastische Arrangements. Unsere Vorstellungen von Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche stimmen überein.
> Die Musiker bieten ja parallel Workshops für Pädagogen an.
Genau, sie gehen auf Schulen und Kindergärten zu und bereiten die Stücke vor. Beim letzten Projekt Karneval der Tiere im Zirkus Krone war ich wirklich begeistert. Alle waren bestens vorbereitet. Eigentlich ist Camille Saint-Saëns’ Musik ja nichts für Kinder. Beim Schwan werden sie unruhig, das ist das Problem mit den langsamen Sätzen: Kindern kann man sie nur schwer vermitteln. Vieles haben wir mit Texten wettgemacht. Und sie haben ein neues Lied von mir – Verschieden, aber zufrieden – auf Anhieb richtig gesungen. Das war ein großes Verdienst auch der Lehrer. Zweitausend Kehlen haben mitgeträllert, das war unglaublich. Den Text des Liedes hat mir Stefana Titeica, die Konzertpädagogin des Orchesters, vorgeschlagen. Es geht um Tiere, die alle verschieden sind und trotzdem gleich. Ich habe damals gesagt: „Wunderbar – pädagogisch, aber trotzdem wertvoll.“ (lacht)
> Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach Musikvermittlung generell und heute?
Wenn ich mit Musikpädagogen rede, dann bemerke ich ein großes Leiden, weil sie keinen Platz mehr an den Schulen haben. Ich halte es deswegen für einen katastrophalen Fehler, weil Musik im Leben von Jugendlichen eine zentrale Rolle spielt. Ein paar Stunden am Tag verbringen sie mit Musik, und sie gehen der Musikindustrie natürlich auf dem Leim. Das Gegengewicht wäre nun eine intensive, begeisterte und begeisternde Musikvermittlung an den Schulen. Der Musikunterricht fällt hingegen häufig aus und ist mittlerweile auf gerade einmal eine Dreiviertelstunde in der Woche gekürzt. Es sind aber auch die Eltern gefragt: Laut Studien soll bis zum zwölften Lebensjahr die Ausbildung des eigenen Musikgeschmacks praktisch abgeschlossen sein. Es ist sehr schwer, danach noch etwas hinzuzugewinnen. Man sollte also wenigstens bis dahin versuchen, etwas von Instrumenten und einer anderen Musikkultur zu vermitteln, damit sich die Jugendlichen später daran erinnern können. Heute aber findet kaum noch eine musikalische Bildung statt.
> Andererseits gab es früher aber nicht Kinder- und Jugendprojekte von der Art, wie sie etwa das Münchner Rundfunkorchester heute anbietet.
Weil es eben heute an schulischer Musikbildung mangelt. Das sind Privatinitiativen. Es liegt am System: Eine Leistungsgesellschaft nimmt Musik nicht ernst. Ich würde mir wünschen, dass Musik an den Schulen einen größeren Stellenwert hätte – den Stellenwert nämlich, den Musik bei Jugendlichen hat.
> Was kann Musik?
Gute Musik kann die Seelen der Kinder noch schöner machen. Sie kann die Entwicklung der Kinder bereichern. Musik macht auf eine andere Weise klug – genauso wie lesen. Musik ist zwar eine nonrationale Sprache, sie ist aber auch eine Sprache. Sie bildet Seele und Hirn. Deswegen ist es umso verbrecherischer, mit schlechter Musik etwas zu „ver-bilden“. Wenn man Erfolg bei Kindern haben möchte, macht man einfach durchgängig Mallorca-Disco-Beat und legt noch eine Kindermelodie darüber. Damit kann man richtig absahnen, was viele skrupellose Produzenten auch machen. Oder nehmen Sie die Neonazi-Lieder: Lass den Dreckstext weg, es reicht die Musik. Man bekommt Magengeschwüre vor lauter Ärger.
> Wie sind Sie eigentlich selbst zur Musik gekommen?
Mein Vater war Opernsänger, zu meinem Glück ein erfolgloser – das sage ich aber mit einem Augenzwinkern. Er war nicht auf den Bühnen der Welt zu Hause, sondern zu Hause zu Hause. Er war viel daheim und hat geübt, ich habe das als Kind natürlich mitbekommen. Meine Mutter sagte immer, dass ich schon als Zwei- oder Dreijähriger ein rhythmisches Talent hatte. Das kann man bei Kindern ja recht schnell entdecken. Ich hatte sehr viel Klavierunterricht und habe mit meinem Vater gesungen. Es gibt davon sogar noch Aufnahmen: Ich habe wirklich die Traviata gesungen, ich war Mimi. Mit zwölf Jahren kam die Tosca hinzu, die Königin der Nacht habe ich allerdings nicht gesungen. (lacht)
> Klang das denn gut?
Ich habe wirklich sehr schön gesungen. Wenn ich die Aufnahmen höre, ist das für mich sehr anrührend, weil – das ist ja weg, wie man bekanntlich weiß. Ich habe mir damals die Callas und die Tebaldi angehört und sie mit dem gleichen Duktus nachgesungen. Damals sang man ja noch Opern auf Deutsch, ich kenne all diese Arien auf Deutsch: „Man nennt mich nur Mimi, weiß nicht, warum.“ (singt)
> Mensch, Herr Wecker, das ist jetzt alles auf meinem Band – ganz exklusiv.
(lacht) Ja, jetzt können Sie das Band bei Ebay versteigern und Millionen machen.