Strauss, Richard

Eine Alpensinfonie/Till Eulenspiegels lustige Streiche

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günther Hänssler PH09065
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 72

Dem Alleinstellungsmerkmal dieser Alpensinfonie begegnet man schon nach wenigen Sekunden: Der Tagesanbruch am Anfang der auskomponierten Bergwanderung ist nicht einfach eine kurze schattige Episode, sondern beansprucht den Rang einer ganzen Ouvertüre, welche die Gefährdung des Menschen durch die Naturgewalten finster vorweg nimmt. Es ist, als kündigten die Geister des Berges drohend das spätere Hereinbrechen des in der Geschichte der Orchestermusik legendären Gewitters an. Da knurren die Tuben und Bassposaunen, ängstlich wispert das Fagott seine absteigende Melodie.
Mit diesem eindrucksvollen Auftakt begegnen Semyon Bychkov und das WDR-Sinfonieorchester ganz nebenbei auch Kritikern, die nicht ohne Grund fragen könnten, warum zu den rund 30 Aufnahmen der straussschen Alpensinfonie, die sich derzeit auf dem Markt befinden, noch eine weitere hinzu kommen musste.
Die Besonderheit dieser Aufnahme besteht darin, dass Bychkov (freilich nicht als erster) weniger das Strahlende, Monumentale, als vielmehr die Schattenseiten, Abgründe und dunklen Geheimnisse der straussschen Musik hervorkehrt. Man hört mitunter Instrumente und Stimmen, die sonst im Mischklang einfach untergehen. Es scheint, als betrachte der gebürtige Russe das 1915 uraufgeführte Werk aus der Perspektive der Oper Elektra, die sechs Jahre zuvor entstanden ist und zum Fortschrittlichsten und Erschütterndsten gehört, das Strauss jemals komponiert hat. Bychkov hat auch dieses Werk vor einigen Jahren mit dem gleichen Orchester eingespielt und dabei Meisterhaftes geleistet (wenngleich die Qualität der Sänger den Rang der Aufnahme schmälert).
Die fröhliche Ekstase der Alpensinfonie, die es natürlich auch hier geben muss, bleibt hingegen bei aller Klasse der WDR-Musiker im üblichen Rahmen. Doch was sollten sie auch anders machen als zahllose Klasse-
Ensembles vor ihnen. Dasselbe gilt für den Till Eulenspiegel.
Werke von dieser Größenordnung zu beherrschen, gehört inzwischen zum guten Ton. Jedes Stadttheater hat die Alpensinfonie schon einmal live aufgeführt, und meistens nicht einmal schlecht. Die Faszination des Perfekten und klanglich Übermächtigen, die einst Karajans Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern (eine der ersten Klassik-CDs überhaupt) ausstrahlte, kann es heute nur noch im Konzertsaal selbst geben.
Johannes Killyen