Strauss, Richard
Eine Alpensinfonie op. 64 / Rosenkavalier-Suite
Die Alpensinfonie als Pflichtprogramm und Standardrepertoire da würde sich Richard Strauss verwundert die Augen reiben. Denn kaum ein Werk steht so sehr für die spätromantische Übersteigerung und klangliche Ausdifferenzierung des Orchesters wie eben diese herrliche philharmonische Bergbesteigung, die der Kletter-Crew wirklich alles abverlangt. Allein: Der enorme Aufwand des Werks scheint heute einfach kein Problem mehr zu sein, das jedenfalls darf man aus der erklecklichen Präsenz der Alpensinfonie in den Spielplänen schließen. Dazu sind derzeit rund 70 Aufnahmen verfügbar, und fast monatlich werden es mehr.
Nehmen wir ein paar aktuelle Beispiele aus Ostdeutschland: Vor einiger Zeit legte die Philharmonie Altenburg-Gera eine Einspielung vor, kürzlich die Weimarer Staatskapelle und nun unter Leitung ihres Chefdirigenten Rafael Frühbeck de Burgos die Dresdner Philharmonie, die sich zu den führenden Orchestern Deutschlands zählt ein Eigenlob, das wenig aussagekräftig und daher unnötig ist. Denn die Dresdner spielen gut genug, um ihre überregionale Bedeutung auch ohne Worte unter Beweis zu stellen. Das jedenfalls legt diese CD nahe, die nicht nur technisch gut gelungen, sondern auch interpretatorisch interessant ist.
Rafael Frühbeck de Burgos widersteht nämlich der Versuchung, die Straussschen Klangfarben noch betörender oder geheimnisvoll schillernder zu malen, als sie ohnehin sind. Er macht deutlich, dass die Alpensinfonie nicht nur ein Vorzeigestück der Programmmusik ist, sondern auch als absolute Musik volle Geltung beanspruchen darf. Frühbeck de Burgos setzt mehr auf formale Klarheit als auf Effekte, er lässt die Dresdner Philharmonie (herrlich: die Streicher!) in sattem Klang aufspielen, betont die thematische Arbeit, balanciert die Stimmen mustergültig aus, verzichtet auf überflüssige Ritardandi und lüftet damit ein wenig das Mysterium der Alpensinfonie. Das tut gut, denn dunkel dräuende, pathetische Lesarten gibt es siehe Karajan in Hülle und Fülle.
Nur vor diesem Hintergrund versteht man, wie Strauss zu den an sich verwirrenden Aussagen kam, die Alpensinfonie sei straff bis zur Knappheit, frei von jeder Überflüssigkeit, sei strengste Gestaltung des Wesentlichen. Die gleichen Eigenschaften kitzelt Frühbeck de Burgos auch aus der Rosenkavalier-Suite heraus, die dazu mit formidablem Walzergeist versehen ist.
Das Programmheft verschweigt wohl nicht rein zufällig, wo und von wem die Alpensinfonie uraufgeführt wurde, nämlich in Dresden allerdings von der Staatskapelle, dem anderen großen und noch berühmteren Orchester der Stadt. Mit dieser Strauss-Aufnahme können sich die Philharmoniker jedoch ohne Bedenken der innerstädtischen Konkurrenz stellen.
Johannes Killyen