Mendelssohn Bartholdy, Felix

Ein Sommernachtstraum

Ouvertüre op. 21, Faksimile, Documenta Musicologica II,41, Kommentar: Friedhelm Krummacher

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2009
erschienen in: das Orchester 10/2010 , Seite 70

Pünktlich zum Mendelssohn-Jahr präsentiert Bärenreiter (neben vielen anderen Mendelssohn-Projekten) eine Faksimile-Ausgabe eines der wohl berühmtesten Werke des Komponisten: der Ouvertüre zu Shakespeares Sommernachtstraum. Die Edition ergänzt die beiden kürzlich erschienenen kritischen Ausgaben (durch Christian Martin Schmidt in der Leipziger Gesamtausgabe bei Breitkopf & Härtel und durch Christopher Hogwood ebenfalls bei Bärenreiter, beide 2006), sodass der fachlich interessierte Benutzer nun die Möglichkeit hat, sich einen wirklich umfassenden Überblick zu verschaffen. Doch der vorliegende Band ist weit mehr als nur eine Reproduktion des Originals; beigegeben ist ihr ein ungewöhnlich umfangreiches Vorwort, in dem einer der besten Kenner der Materie, Friedhelm Krummacher, einen ausgezeichneten und durchaus neue Erkenntnisse vermittelnden Überblick über Entstehungsgeschichte, Fassungen, Varianten, Publikation, Rezeption und die relevanten Quellen gibt. Der Kommentar wird neben dem deutschen Original auch in englischer und japanischer Sprache vorgelegt, was den potenziellen internationalen Käuferkreis natürlich deutlich erhöht und interessantes Zeugnis darüber ablegt, wo auf der Welt sich Mendelssohn (nicht erst seit dem vergangenen Jubiläumsjahr) der größten Popularität erfreut.
Zum ersten Mal liegt hier nicht nur das vollständige Faksimile der Urschrift vor (was besondere Relevanz angesichts der Tatsache erlangt, dass der Erstdruck, auf dem bis vor Kurzem alle weiteren Ausgaben beruhten, erst 1832 in Stimmen erschien und äußerst fehlerhaft ist); auch die auf sechs Blättern erhaltene, von Mendelssohn verworfene Frühfassung der ersten 127 Takte sind in einem Anhang reproduziert. Diese Frühfassung ist von spezifischem Interesse, da sich an ihr zumindest teilweise nachvollziehen lässt, inwieweit die explizit „malenden“ Elemente der Ouvertüre (vor allem das berühmte „Eselgeschrei“) wirklich erst auf Anregung von Adolf Bernhard Marx, dem zeitweiligen Freund Mendelssohns und energischen Verfechter der „Tonmalerei“, ins Werk kamen. Äußerst begrüßenswert ist schließlich die Entscheidung des Verlags, Taktzahlen beizugeben – was in den meisten Faksimiles fehlt und dazu führt, dass Musiker oder Musikwissenschaftler, die einen solchen Band zu Studien- oder Aufführungszwecken nutzen wollen, diese erst einmal per Hand nachtragen müssen.
Doch nicht nur der interessierte Musiker, sondern auch der Sammler kommt auf seine Kosten: Der Edition kommt ohne Weiteres der Rang einer Luxusausgabe zu – im großen Originalformat, mit hochwertigem Papier und aufwändig gestaltetem Einband. Die grafische Reproduktion des Manuskripts ist ebenfalls ohne Fehl und Tadel, mit ausgezeichneter Farbwiedergabe und Schärfe. Unverständlich ist allein die Entscheidung, die Blätter mit der verworfenen Frühfassung aus der Bodleian Library nicht in Farbe, sondern in Graustufen zu reproduzieren – was zwar immer noch einwandfrei leserlich ist, aber gegen den hohen Standard aller übrigen Aspekte doch visuell sehr abfällt. Insgesamt aber hält der Bärenreiter-Verlag mit dem Sommernachtstraum-Faksimile Standards der Qualität und Benutzerfreundlichkeit aufrecht, denen man weite Nachahmung wünschen möchte.
Thomas Schmidt-Beste