Babbe, Annkatrin

“Ein Orchester, wie es bisher in Europa noch nicht gesehen und gehört worden war”

Das "Erste Europäische Damenorchester" von Josephine Amann-Weinlich (1811-1875)

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg 2011
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 68

„Annkatrin Babbe legt mit ihrer Schrift die erste vollständige Darstellung vor, die neben den Reisen die Auftrittsorte, die Besetzung, das Repertoire, die Kleidung, die Arbeitsbedingungen und auch die Frage der Abgrenzung zu den so genannten Damenkapellen diskutiert.“ So schreibt Freia Hoffmann in ihrem Vorwort auf Seite 10 zu dem Bändchen, und damit ist bereits das Wichtigste zum Inhalt erwähnt, wobei die Gewichtung der genannten Aspekte sehr unterschiedlich ausfällt.
Werden die Auftrittsorte ausführlich und detailliert vorgestellt, trifft dies bedauerlicherweise für das Repertoire nicht zu. Babbe erwähnt Namen von Komponisten, teilweise auch einzelne Werktitel, geht aber nicht näher darauf ein, welche Bedeutung die einzelnen Werke im damaligen Musikleben hatten. Auch die eigenen Kompositionen von Josephine Weinlich werden nur erwähnt, nicht beschrieben oder gar analysiert. Muss sich der Leser mit weitergehendem Interesse die Studie von Margaret Myers, die acht Konzertprogramme des „Ersten Europäischen Damenorchesters“ ausgewertet hat, organisieren? Möglicherweise ist dieser Mangel bewusst in Kauf genommen worden, denn der Schwerpunkt der Forschungsarbeit liegt beim Orchester an sich, seinen Reisen, der Besetzung, den Mitgliedern und ihren Arbeitsbedingungen.
Es gelingt Babbe wirklich überzeugend und anschaulich – nicht zuletzt anhand der eindrucksvollen Bilder vom Orchester –, den Werdegang von den Anfängen aus einem Quartett in Wien, über die ausgiebige Konzerttätigkeit, die auch junge Männer als Blechbläser integrierte (was zu keiner Namensänderung führte: Es blieb bei „Erstes Europäisches Damenorchester“, was als Ausdruck von Selbstbewusstsein seitens der Damen gewertet werden kann) und ins europäische und amerikanische Ausland führte, unter soziologischen und musikhistorischen Aspekten darzustellen und seine Bedeutung herauszustreichen. Diese ging sogar so weit, dass amerikanische Ensembles nach den Auftritten in den USA die deutsche Bezeichnung „Damenorchester“ übernahmen und der Veranstalter die Eintrittspreise während einer Tournee in Skandinavien verdreifachen und schließlich vervierfachen konnte.
Abgerundet wird die Schrift von Babbe unter Mitarbeit von Volker Timmermann durch einen Anhang mit mehreren Biografien von Musikerinnen und Orchestermitgliedern, die durchaus Interesse an weiteren Biografien wecken. Das ausführliche Literaturverzeichnis zeigt auf, wie viel Forschungsarbeit auf dem umfassenden Gebiet „Music and Gender“ inzwischen geleistet wurde.
Alles in allem ist die Veröffentlichung ein weiterer lesenswerter Beitrag zur musikwissenschaftlichen Forschung mit dem Fokus auf den weiblichen Anteil der Musikgeschichte.
Viola Karl