Strauss, Richard

Ein Heldenleben op. 40 / Don Juan op. 20

NHK Symphony Orchestra Tokyo, Ltg. Paavo Järvi

Rubrik: CDs
Verlag/Label: RCA Red Seal 88985391762
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 68

Die Liveeinspielung aus der Santory-Hall Tokyo vom 18. und 19. Februar 2015 ist eine der ersten Großtaten des estnischen Dirigenten Paavo Järvi als neuer Chefdirigent des 1926 gegründeten NHK Tokyo Symphony Orchestra. Und der Meister kommt ins Schwärmen: Im Booklet lobt er die vorbildliche Haltung und Offenheit seiner Musiker gegenüber den Anforderungen, die der 24-jährige Richard Strauss schon 1888 der Hofkapelle Weimar bei Don Juan und 1898 dem Frankfurter Opernhaus- und Museumsorchester zugemutet hatte. Gleichzeitig seien beide Werke eine glänzende Einstiegsmarke für die langfristige Zusammenarbeit, weil jeder Mitwirkende hochgradig gefordert ist. Und Järvi greift dabei überdies die starke Verhaftung des Orchesters im deutschen Repertoire auf, rühmt die Affinität zu diesem Fach.
Das bestätigt sich beim Hören dieser Einspielung nicht ganz – und ist doch ein Gewinn. Denn die Musiker halten Distanz zum überwältigenden dionysischen Rausch des Frühwerks Don Juan und auch den durchaus möglichen Klangpanzerungen, mit denen die im Heldenleben dargestellten Kämpfe gegen philist-
röse Engstirnigkeit schon aufgebläht wurden.
Paavo Järvis innere Haltung zu Strauss hört man ganz deutlich in den Abschnitten von „Des Helden Gefährtin“ in den Übergängen zwischen Soli- und Ensemble-Passagen. Da nämlich gewährt er dem Violin-Solisten Fuminori Maro Shonizaki seine ganz eigene Freiheit für die Phrasierungen, die damit aus dem Grundtempo fallen. Die folgenden kammermusikalischen Verästelungen, das biegsame Crescendo, das Zurückfinden ist eigentlich recht „unstraussisch“, nimmt dann dem ganzen Werk die ihm immer wieder zugeschriebene und auch immer wieder auf der ganzen philharmonischen Farbskala ausgespielte Üppigkeit.
Diese Verschlankung kommt dem ganzen riesigen Orchesterapparat zugute, zielt mehr auf rhythmische und klangdurchsichtige Kontraste denn auf Totalwirkungen. Dass Strauss vor 1900 an der Spitze der musikalischen Neutöner stand, wird hier deutlich. In den Synkopen regen sich Reibungen, die mehr Bedeutung erhalten, weil Järvi sich bei den diatonen Apotheosen nicht lange aufhält und gerade bei den Blecheinsätzen, wie es scheint, leicht beschleunigt.
Gerade dass Järvi und das NHK Symphony Orchestra diese Entschlackung gezielt ausstellen, mag man an dieser Interpretation vielleicht als etwas zu wenig Eigenprofilierung bemängeln. Das Ende „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ – in Strauss’ erster Oper (1894) begleitet dieses musikalische Thema das Liebesopfer des Titelhelden – wahrt Distanz zum überschönen Schein. Insgesamt weisen beide Einspielungen schöne und für weitere Interpretationen aufschlussreiche Akzente auf. Auch zeigt sich, dass mit zunehmendem Bewusstsein für Strauss’ biografische Verstrickungen die Interpretation momentan schwieriger ist als früher. Erst recht bei solch prachtvollen Männer- und Selbstporträts wie Don Juan und Ein Heldenleben.
Roland H. Dippel

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