Werke von Antheil, Ibert, Laks, Mihalovici und Strawinsky
Écoles de Paris – Paris pour École
Adele Bitter (Violoncello), Holger Groschopp (Klavier), Mitglieder des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Ltg. Johannes Zurl
Einem Wünschelrutengänger gleich ortet und dokumentiert der Berliner Musikverleger Frank Harders-Wuthenow verwehte Spuren und überwachsene Pfade des Tonschaffens im politisch zerwühlten und kulturell zersplissenen Europa des 20. Jahrhunderts. Forum seiner entdeckerischen Initiativen ist die Edi-tionsreihe EDA Records (in Vertriebsgemeinschaft mit WERGO).
Jüngstes Glanzstück des kräftezehrenden Liebhaber-Unternehmens ist die (von Strawinskys 50. Todestag angestoßene) Präsentation verklungener Meisterwerke des zwischen 1923 und 1963 in Paris entstandenen Bläserrepertoires, produziert in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und Deutschlandfunk Kultur im Berliner Haus des Rundfunks.
Zum Titel der Edition (Schulen von Paris – Paris als Schule), deren Beiheft-Text der separat erschienenen Studie Gedanken zu einem problematischen Schulbegriff des Herausgebers entstammt: Während sich im Kunstbereich der Begriff „École de Paris“ einbürgerte, bezogen auf französische und aus totalitären Staaten emigrierte Künstler des 20. Jahrhunderts, die Paris zum Kunstzentrum erhoben (u. a. Picasso, Miró, Dali, Chagall, Soutine, Ernst, Hartung), fällt es der Musikgeschichtsschreibung bis heute schwer, eine Parallele gleicher Vielfalt und Wirkungsmacht zu erkennen. Angesichts der enormen stilistischen Vielfalt verschiedenster Komponistengruppen, die sich im Paris der 1920er Jahre formierten, ihrer freundschaftlichen Verflechtungen und gegenseitigen Beeinflussungen treibt den Herausgeber die Frage um, ob und inwieweit der Schulbegriff auch dem damaligen Musikschaffen an der Seine gerecht würde.
Mit Delaunays Gemälde Air, fer et eau verführerisch geschmückt, verschafft die jüngste EDA-Schöpfung vier Preziosen im Sog von Strawinskys Bläseroktett (1922/23) höchst eindringlich Gehör: dem geistsprühenden Concerto pour violoncelle et instruments à vent (1925) von Jacques Ibert, dessen Mittelsatz wie eine nächtliche Karnevalsszene anmutet; dem skulpturalen, aus kleinsten Bausteinen gefügten Concerto for Chamber Orchestra (1932) des selbsternannten „Bad Boy of Music“ George Antheil; der Étude en deux parties für konzertierendes Klavier, Blasinstrumente, Celesta und Schlagwerk (1951) des Rumänen Marcel Mihalovici, deren zweiter Teil der Erdenkräfte urtümliches Gedränge entfesselt; und dem aus klassischen Satzmodellen entwickelten Concerto da camera pour piano, instruments à vent et batterie (1963) des Polen Simon Laks.
Allen Werken und ihren Schöpfern widmet Harders-Wuthenow überaus kenntnisreiche und feinhörige Kommentare. Die Solisten der Produktion gewannen 1923 den Opus Klassik Award für ihre Gesamtaufnahme von Laks’ Werken für Violoncello und Klavier.
Lutz Lesle