Mozart, Wolfgang Amadeus
Early string quartets & Divertimenti K. 136, 137 und 138
Mit Arriaga-Quartetten sind sie bekannt geworden, die Musiker des spanischen Cuarteto Casals. Jetzt haben sie sich einer anderen Repertoire-Rarität gewidmet: Den frühen Streichquartetten und Divertimenti Wolfgang Amadeus Mozarts. Es gelingt ihnen ein echter Coup: Das meist nur als Ausreißer-uvre gewürdigte Frühwerk des Salzburgers in chronologischer Abfolge ist eine Entdeckung. Kennt man doch im Allgemeinen nur eine Hand voll Stücke aus der Zeit des Heranwachsenden die Divertimenti KV 136-138 z.B., die eigentlich nicht zu den Streichquartetten zu rechnen sind, aber gerne in diesem Kontext gespielt werden; so auch hier.
Im Konzertalltag bilden die frühen Quartette eine exotische Randexistenz. Dabei eröffnet schon das erste Werk dieser Gattung aus Mozarts Feder (KV 80, von 1770) mit einem herzöffnend schönen, melancholisch-süßen und ausgreifenden Adagio, das sofort den hohen Anspruch des 14-Jährigen demonstriert, einen wahren Kosmos: Mozart war um diese Zeit wie die Köchel-Nummer ahnen lässt längst kein Anfänger mehr und hatte Sinfonien, Konzerte, Opern und Kirchenmusik komponiert, bevor er sich der Quartettkomposition widmete. Das Cuarteto Casals nimmt diese schöpferische Seriosität des heranwachsenden Knaben ernst und zeigt, dass sich der Salzburger mit seinen Streichquartetten ganz bewusst der speziellen intellektuellen Herausforderung der Gattung stellte.
Mozart startet allerdings erst mit der 1772/73 in Italien entstandenen Quartettserie KV 155-160 richtig durch. Lange stand seine frühe Entwicklungsphase im Schatten wenig überzeugender Arbeiten, die sich Mitte der 1960er Jahre als untergeschobene Werkchen etwa des Dresdners Joseph Schuster (KV Anh. 210 ff) entpuppten: Noch 1988 hat das Mozarteum Quartett Salzburg diese musikalisch dünnen, so genannten Mailänder Quartette als frühe Mozart-Werke eingespielt! Im Licht der gesäuberten Werkliste schaut der kompositorische Fortschritt ganz anders aus, und diese musikalisch packenden Interpretationen der nun zweifellos echten Mozart-Schöpfungen durch das katalanische Ensemble zeigt Mozart sofort als reifen Komponist in jungen Jahren mit einer geradezu unfassbaren Fantasie und satztechnischen Meisterschaft.
Dies wird umso deutlicher, wenn man die u.a. von Ludwig Finscher entlarvten und lange im Mozart-Katalog spukenden Fremdwerke jener Phase mal wieder zum Vergleich heranzieht: Ein Satz wie das fast noch barocke c-Moll-Andante aus dem Es-Dur-Werk KV 171 (Wien, 1773) zeigt dann die Größe des Genies überdeutlich und stößt ein Tor auf in eine völlig andere Welt. Das Cuarteto Casals, benannt nach dem großen katalanischen Cellisten, weiß das auf entwaffnende Weise zu demonstrieren. Hört und staunt, scheinen diese Musiker zu rufen, und man staunt nicht zuletzt über ihre eigene instrumentale und musikalische Kompetenz.
Das spanische Ensemble wurde 1997 an der Hochschule Reina Sofia Madrid gegründet und erfuhr seither mehrere internationale Auszeichnungen (Menuhin Preis London 2000, Brahms Preis Hamburg 2002, Kritikerpreis Katalonien). Geprägt durch die Arbeit mit dem Alban Berg Quartett, wurde das Cuarteto Casals offenbar auch durch die Historische Aufführungspraxis inspiriert und weiß, was Artikulation besagt und bewirken kann. Mozarts kunstvolle Nebenstimmen-Polyfonie etwa wird dadurch zum lebendig atmenden Klangkörper. Das Ensemble spielt mit wenig Vibrato, fein abgestufter Dynamik und mit Verve, wobei das aufeinander Hören und Reagieren vorbildlich sind. Eine Referenzaufnahme dieser frühen kammermusikalischen Kostbarkeiten.
Matthias Roth