Werke von van Bree, Verhulst, Wagenaar und van Gilse
Dutch Ouvertures
Netherlands Radio Symphony Orchestra, Ltg. Jac van Steen
Kann diese Aufnahme auch 25 Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch überzeugen? Das fragt man sich, wenn man diese Neuauflage von Brillant Classics in den Händen hält. Übernommen wurde hier eine CD, die 1999 beim niederländischen Label NM Classics erschien, vertrieben vom mittlerweile aufgelösten Centrum Nederlandse Muziek und Radio Netherlands International. Darauf zu hören: sechs selten zu hörende und teils erstmals eingespielte Ouvertüren von Johannes Bernardus van Bree, Johannes Verhulst, Johan Wagenaar und Jan van Gilse. All diese Komponisten prägten in der Romantik und Spätromantik die niederländische Musik. Einige von ihnen kamen auch nach Deutschland. So lernte Verhulst in Leipzig Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann kennen. Und van Gilse studierte in Köln bei Franz Wüllner, in Berlin bei Humperdinck und war Kapellmeister am Opernhaus in Bremen.
Die Antwort, ob mit der CD-Neuauflage ein Coup gelungen ist, lautet eindeutig: Ja! Das liegt nicht nur am Repertoire, sondern an den hochkarätigen Interpretationen des 2005 aufgelösten Netherlands Radio Symphony Orchestra unter Jac van Steen. Der Dirigent – auch ihn verbindet viel mit Deutschland, dirigierte er doch in Nürnberg und Weimar – verströmt eine ansteckende Musikalität. So gelingen ihm gleichermaßen die pathetischen Momente in van Brees Konzertouvertüre h-Moll wie die schwärmerischen in Wagenaars Konzertouvertüre Frühlingsgewalt. Van Steens Gespür für Rubati und den großen Bogen dieser Orchestermusik begeistert auch heute noch, zumal das Orchester wirklich exzellent spielt.
Zu hören sind größtenteils für den Konzertsaal geschriebene Ouvertüren, manche mit Programm. So verarbeitet Verhulst in seiner c-Moll-Ouvertüre das in den Niederlanden beliebte Weihnachtsschauspiel Gijsbrecht van Aemstel. Mit dabei ist aber auch das charmante Vorspiel zu van Brees komischer Oper Le Bandit (1840).
Doch wie schneidet van Steen im Vergleich mit anderen Interpretationen einzelner Werke ab? Van Gilses Konzertouvertüre c-Moll wirkt bei ihm homogener als in der auf starke Kontraste setzenden Lesart des Netherlands Symphony Orchestra unter David Porcelijn (CPO, 2010).
Den größten Unterschied gibt es aber zu Aufnahmen der „historisch informierten“ Aufführungspraxis. So veröffentlichte die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willems kürzlich eine ganz andere Sicht auf die Van-Bree-Ouvertüre in h-Moll. Die Bläser führen darauf ein bemerkenswertes Eigenleben. Der Ton ist kantig und drahtig (CPO, 2024).
Am Ende bleibt es Geschmackssache, ob man van Steens abgerundetem Klangbild der 90er hier den Vorzug gibt. Wärme, Opulenz und Furor reißen nach wie vor mit. Und das dreisprachige Booklet enthält sogar einen deutschen Text.
Matthias Corvin


