Kühnl, Claus

Duplum/Die Einsamkeit des Franz Liszt/Vision/Un Souvenir

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cavalli CCD 418
erschienen in: das Orchester 11/2004 , Seite 91

Das Frühwerk von Claus Kühnl (geb. 1957) reflektiert durchaus zeittypisch für die frühen 1980er Jahre in vielfältigen Brechungen die Musik des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere die Expressivität deutscher Spätromantik.
Noch ein wenig unbedarft widmet sich Un Souvenir (1979) für Violoncello und Klavier zunächst der frühen Aphoristik der 2. Wiener Schule, um anschließend weit ausholenden Cello-Kantilenen zu frönen – melancholisch, verträumt und noch ziemlich pathetisch, auch wenn der Schlussabschnitt beide Ebenen brüchig zu verbinden sucht. Schon weitaus größere Überzeugungskraft und Ausdrucksintensität verströmt die Vision (1983) für 20 Solostreicher in einer interessanten Mischung aus Sonorismus und spätromantischer Idiomatik. Ihr von irisierenden Klangflächen eingerahmter Mittelteil kommt wie die Heraufbeschwörung eines Mahler-Adagios daher. Die Einsamkeit des Franz Liszt (1985/87) für großes Orchester hingegen versteht sich als „Auslotung dreier später Klavierstücke Liszts“, die Kühnl für großes Orchester bearbeitet hat: Während Nuages Gris und En Rêve im großen und ganzen als (bedenklich) vielfarbige Instrumentierungen erscheinen, hat Kühnl in La Lugubre Gondola II geradezu filmreif in die dramatisierende Trickkiste gegriffen und überdies einige Tristan-Anspielungen hineingeheimst (Englisch-Horn-Solo als Anklang an die „traurige Weise“ zu Beginn des 3. Akts; Harmonisierung einer chromatischen Linie als Tristan-Akkord). Auch Liszt selbst ist als gleichsam „steinerner Gast“ in Gestalt einer charakteristischen Solokadenz des Klaviers anwesend. Der weltferne Gestus dieser jeder Virtuosität entsagenden und in ihrem geradezu autistischen Reduktionismus vielfach mystifizierten Vorlagen geht in Kühnls Deutung jedoch weitestgehend verloren.
Wesentlich reifer und eigenständiger als diese hier erstmals vorgestellten frühen Kompositionen klingen die luziden Klangspiele von Duplum (1989) für Kammerensemble, das bereits Kühnls Stilwandel gegen Ende der 1980er Jahre markiert. Das Henri Dutilleux gewidmete Werk, eine „Musik des Lichtes und der Finsternis“, vermeidet im Rahmen prozesshafter musikalischer Verläufe deutliche Kontrastbildungen zugunsten organischer Aufschmelzungsvorgänge, die mit einem präformierten Material aus (33-Ton-) Reihen, Zentral-Tönen/Klängen und „harmonischen Codes“ arbeiten. Zu hören ist ein arabeskes Klanggewebe (Oboe, Englisch Horn, Fagott, Kontrafagott, Kontrabass, Schlagzeug, Cembalo und Clavichord) mit gespinsthaften Lineaturen, perkussiven Episoden, spannenden Verdichtungen und subtilen Modulationen des Einzelklangs mitsamt ihren Geräuschqualitäten.
Da Claus Kühnl hier selbst als Dirigent und Pianist in Erscheinung tritt, dürfen diese fein ausgehörten Interpretationen einen hohen Authentizitätsgrad für sich in Anspruch nehmen.
Dirk Wieschollek