Kagel, Mauricio
Duodramen / Szenario / Liturgien
Drei der wichtigsten Orchesterwerke von Mauricio Kagel enthält diese neue Niedrigpreis-CD. Filmmusik, Opernszene und Gottesdienst sind ihr jeweiliger Hintergrund. Es beginnt mit dem Szenario Concerto grosso für Streicher und Hundelaute (1981/82), ursprünglich eine Vertonung des Stummfilm-Klassikers Le chien andalou (1928) von Luis Buñuel und Salvador Dalí. Kagel erklärt, er sei den umgekehrten Weg gegangen wie die beiden Surrealisten, indem er den sinnfreien Filmtitel wörtlich nahm und dem Streichorchester ein Tonband mit solistischen Hundelauten hinzufügte. Dabei scheinen die zunächst zaghaften, dann klagenden und schließlich wütenden Hundelaute mit den vielfältig gestrichenen, gezupften und geschlagenen Streicherklängen zu korrespondieren.
Aus Kagels Wunsch, die Besetzung des Monodrams zu erweitern, entstanden die sechs Duodramen für Sopran, Bariton und Orchester (1997/98), ein munterer Olymp der frei erfundenen Anzüglichkeiten (Kagel) zwischen je zwei historischen, aber ungleichzeitigen Persönlichkeiten wie Cosima Wagner und Henry Ford oder Alma Mahler-Werfel und Dschingis-Khan. Vertont wie ein orchestraler Liederzyklus von Mahler oder vielmehr als imaginäre Opern-Finalszenen à la Wagner und Richard Strauss natürlich dissonant enthäutet.
Bei seinem ersten Aufenthalt in Jerusalem 1979 erlitt Mauricio Kagel nach eigener Aussage einen Kulturschock, als er die Klagemauer, den Felsendom und die konfessionell vielfach geteilte Grabeskirche zugleich sah: Bei diesem Bild empfand ich deutlicher denn je, dass die unterschiedlichen Auffassungen, die Menschen leidenschaftlich pflegen, sobald es sich um religiöse Überzeugungen handelt, geradezu töricht und banal, ja überflüssig sind, werden sie gegen Andersdenkende gerichtet.
Noch im Heiligen Land begann Kagel ein Musikstück zu konzipieren, aus dem später seine Liturgien für Tenor, Bariton, Bass, zwei gemischte Chöre und großes Orchester (1989/90) wurden. Auf eine entsprechende Textcollage in hebräischer, arabischer, griechischer, lateinischer, russischer und deutscher Sprache wird aus der für den Komponisten offenkundigen Entsprechung zwischen Monotheismus und Monodie eine Polyphonie der Liturgien. Kagels ambivalenter Humor neigt in diesem Werk mehr zur ernsten Seite.
Die drei vorliegenden, höchst präsenten Aufnahmen des Saarländischen Rundfunks stammen aus den Jahren 1994 bis 2001; zwei entstanden im Musikstudio 1 des Saarbrücker Funkhauses Halberg, die Liturgien sind ein Konzertmitschnitt aus der Lissabonner Gulbenkian-Stiftung, deren großartiger Chor hier mitwirkt. Wunderbar, welche Zaubertöne Kagel den Streichern des jederzeit zuverlässigen Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken im ziellos schreitenden, fast gruseligen Szenario entlockt. Wie gut die beiden Duodramen-Solisten (Margaret Chalker und der Kagel-bewährte Roland Hermann) gemeinsam mit dem Orchester die Waage zwischen Pathos und Parodie halten. Nur bei den dicht gesetzten Liturgien hätte der dirigierende Komponist vielleicht dem (verständlichen) Klangrausch der Musiker (vor allem der drei etwas tremolierenden Gesangs-Solisten) mehr Grenzen setzen sollen. Jedenfalls ist dies eine Interpretation, welche die Melancholie, ja Trauer über den anhaltenden religiösen Unfrieden in der Welt dramatisch und gefühlvoll vermittelt.
Ingo Hoddick