Schweitzer, Benjamin

dull roots & spring rain

für Flöte/Bassflöte (oder Klarinette), Oboe und Fagott, Partitur in C

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 63

Das vorliegende Bläsertrio wurde 2009 beim Kompositionswettbewerb der Weimarer Frühjahrstage mit einem Preis ausgezeichnet, das Aeolian Trio mit Carin Levine (Flöte), Peter Veale (Oboe) und Pascal Gallois (Fagott) spielte 2008 die Uraufführung.
Wie schon der Titel suggeriert, versucht der Komponist die Stimmung „einer vom Winter freigegebenen April-Landschaft mit ihrer Mischung aus Kahlheit und aufbrechenden, jedoch noch trüben Farben“ einzufangen. Ein Gedicht von T.S. Eliot The Waste Land ist dem Werk vorangestellt.
Die getrübte Stimmung bestimmt das zweisätzige, etwa neun Minuten lange Werk und wird vor allem erreicht durch mikrointervallische und multifonische Klänge, deren Ausführung in den Erläuterungen erklärt werden. Sicherlich haben die Musiker der Uraufführung, die alle drei Herausgeber von Büchern über Multiphonics sind, ihre Erfahrungen einfließen lassen. Über die gesamte Spieldauer dominiert eine Dynamik von dreifachem Pianissimo bis Mezzoforte, nur im ersten Satz bricht der Klang für einen Takt ins Fortissimo aus. Durch Vierteltonerhöhungen bzw. -erniedrigungen, Glissandi und Timbre-Wechsel, die bei mäßigem Tempo in freiem rhythmischen Wechsel stattfinden (die Taktstriche dienen nur der Orientierung), entstehen ständig changierende Akkorde, die eigentlich tonal sind, Sext- und Septakkorde im Dur-Moll-Wechsel, aber eben immer durch kleinste Tonhöhenänderungen verschleiert. Reizvolle Klangfarben entstehen auch durch den Einsatz der Flöte und Oboe im tiefen Register, während das Fagott häufig im hohen Register spielt. Verstärkt wird dieser Klang noch im zweiten Satz, wenn die Bassflöte oft das tiefste Instrument ist.
Die Musik Benjamin Schweitzers und auch diese Komposition hat eine ganz eigene besondere Klangfärbung und ist beeinflusst von den Ideen der Dogma-Filme um den Regisseur Lars von Trier und von Oulipo, einem Autorenkreis um die Schriftsteller Italo Calvino und Oskar Pastior. Prinzipien dieser Gruppen sind die Erweiterung durch formale Zwänge und Einschränkungen, so genannte Obstructions. Bei Schweitzer bedeutet dies der Verzicht auf virtuose Figurationen und melodische Elemente. Wenige Klänge bilden die Musik, kleinste Veränderungen bestimmen den Verlauf. Schweitzer formuliert: „Leichtigkeit – Schnelligkeit – Genauigkeit – Anschaulichkeit – Vielschichtigkeit – Konsistenz: Diese Begriffe, Kapitelüberschriften von Italo Calvinos Sechs Vorschlägen für das nächste Jahrtausend, sind mir in den letzten Jahren zu ästhetischen Leitlinien geworden, deren zentrale Konsistenz – also Haltbarkeit – sich aus der Überlagerung der ersten fünf Begriffe ergibt: eine Kunst, die standhält, aushält – eine der wich-tigen Voraussetzungen für Modernität in einem zeitlosen Sinn.“
Von dem Werk existiert auch noch eine Version für Trio d’anches, also mit Oboe, Klarinette und Fagott. Das könnte der Verbreitung des Stücks helfen, was unbedingt zu wünschen wäre!
Thomas Richter