Beethoven, Ludwig van
Duett mit zwei obligaten Augengläsern WoO 32
für Viola und Violoncello
Beethovens Duett mit zwei obligaten Augengläsern ist nur in einem Sammelband, dem Kafka-Skizzenbuch in der British Library, überliefert, und nur zwei Sätze, der Kopfsatz und das Menuett, sind vollständig. Der vermutliche langsame Satz des Duos bricht im 23. Takt ab. Beethoven machte in diesem Skizzenbuch weder Angaben zu den Instrumenten, für die diese Komposition gedacht war, noch zur Dynamik und Artikulation. Die Instrumente lassen sich ziemlich einwandfrei als Viola und Violoncello erschließen, bei Artikulation und Dynamik dagegen ist das keineswegs so einfach.
Treu dem Prinzip des Urtexts verzichtet Emil Platen in der neuen Henle-Ausgabe konsequent auf die Hinzufügung von Forte oder Piano, von Strichangaben und von Hinweisen zur Art des Spiels. Ich habe dieses Duo bislang mit der bei Peters erschienenen Ausgabe von Fritz Stein, die auf das Jahr 1939 zurückgeht, musiziert. Dort ist die Welt noch in Ordnung. Man kann sofort spielen, ohne darüber nachdenken zu müssen: Wie laut muss das sein? Was soll ich binden?
Und nun schaut man in die Henle-Ausgabe und bemerkt: Diese Fortes und diese Bindebögen stammen ja gar nicht von Beethoven, was man freilich auch ohne Henle-Ausgabe hätte herausfinden können, wenn man in der Bibliothek nachgeschaut hätte. Doch nun kommt man ins Nachdenken: Sind die Forte- und Pianoangaben, die Bindebögen bei Fritz Stein wirklich alle so sinnvoll? Man fühlt sich bei der Henle-Ausgabe freier.
Aber Freiheit ist immer schwieriger. Man muss sich nun viel mehr mit der Komposition befassen und bemerkt: Bei den dynamischen Zeichen hatte Fritz Stein ein gutes Gespür. Bei der Artikulation dagegen entspricht manches nicht mehr unseren heutigen Vorstellungen.
Die Henle-Ausgabe macht deutlich, was Interpretation bedeutet, nämlich, dass man ein Stück nicht einfach so spielt, wie es in den Noten der verwendeten Ausgabe steht, sondern dass man sich intensiv mit ihm beschäftigt, mit der formalen Struktur, der Harmonik, und daraus seine Schlüsse zieht. Diese Schlüsse können von Spieler zu Spieler ganz unterschiedlich sein.
Festzuhalten ist: Urtext befreit, aber Freiheit ist schwierig. Gerade für Hausmusikliebhaber wäre es bei einer so kargen Überlieferung sinnvoll, eine Art Doppelausgabe die eine im Urtext und die andere mit dynamischen und artikulatorischen Vorschlägen anzubieten. Nicht jeder hat ja die Ausgabe von Fritz Stein zur Hand. Erhellend wäre außerdem, wenn man einen Blick in das Autograf werfen könnte, ohne in der Bibliothek das von Joseph Kerman herausgegebene Faksimile einsehen zu müssen. Doch das wäre wohl allzu unbescheiden, und deshalb kann nur begrüßt werden, dass endlich eine Urtextausgabe verfügbar ist.
Franzpeter Messmer