Ruhnke, Ulrich
Düstre Aussichten
In Berlin fand, wie jedes Jahr, der Deutsche Orchestertag statt
Am Ende der gut einstündigen Eröffnungsdiskussion ist das Eis gebrochen. Menschen, die angereist aus allen Ecken Deutschlands sich vor der Veranstaltung in Unkenntnis übereinander gar nicht oder nur knapp gegrüßt haben, andere, die sich schon von früheren Treffen kannten, dadurch unvermittelt wieder ins Gespräch und prompt zu spät zum ersten Tagungsprogrammpunkt kommen sie alle sind nach dieser ersten guten Stunde vereint. Geeint im Lachen vornehmlich über die spitzen Bemerkungen der zwei Diskussionsmoderatoren, die am Fuß des hoch aufragenden schlanken Kreuzes, das als einziges Ausstattungselement an die frühere Bestimmung dieses Tagungsortes als sakraler Bau erinnert, ihrer profanen aber wichtigen Arbeit höchst erfolgreich nachkommen.
Eine ganz besondere Gemeinde ist es, die hier in der ehemaligen Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain, heute Umweltforum Berlin, im nunmehr vierten Jahr zusammenkommt. Orchesterintendanten, ‑direktoren, ‑geschäftsführer, ‑manager, ‑disponenten, ‑referenten, ‑inspektoren, Fachkundige des Marketings und der Kommunikation, Dramaturgen, Mitarbeiter aus Künstlerischen Betriebsbüros und Volontäre aus über 70 Klangkörpern, ganz überwiegend aus TVK-Orchestern, gehören dazu. Nur diejenigen, die die Musik machen, die Orchestermusiker, sind nicht dabei. Deren Umarmung wäre zusätzlich wohl auch kaum zu schaffen gewesen, ist es doch schon ein Kunststück für sich, die Damen und Herren aus den verschiedenen Bereichen der künstlerischen und administrativen Leitung der in Größe, Renommee, Finanzausstattung und Erfolg gänzlich unterschiedlichen Orchester zu einer gemeinsamen Gruppe zusammenzuschmelzen. Polemische Fragen der Moderatoren wie z.B. die nach der frech-absurden Absicherung von Musikern in TVK-Orchestern sind wohlfeile, aber funktionierende rhetorische Hilfsmittel beim Stiften einer gemeinsamen Identität der Anwesenden. Wir sind die Guten! Die Musiker sind die Schlechten.
Muss ich noch üben oder kann ich schon Kinder kriegen?, zitiert der besonders beißfreudige Moderator die Überlegung einer fiktiven Musikerin. Die erhoffte Reaktion kommt umgehend, das Volk lacht. Grundsätzlich gäbe es ohnehin nur zwei Typen von Musikern, nämlich die, die es ernst meinten und deshalb den Anschluss an ein Freies Orchester suchten, und jene, die sowieso ins TVK-Orchester gehen, tritt er nach. Haha, auch hier großes Gelächter. Mit regelmäßigen Kanonenschüssen in Richtung Musiker bringen die Veranstalter die Lacher und Herzen ihrer Gäste im Handumdrehen auf ihre Seite. Und irgendwie ist das auch in Ordnung. Es ist die Veranstaltung der Manager und welcher Parteitag käme schon ohne Schwarzmalerei, ohne die Zeichnung klarer Feindbilder aus?
Problematisch wird das Ganze allerdings dadurch, dass es im Orchester nicht wie in der Politik um die Frage der Macht geht, zumindest nicht gehen sollte. Auch wenn manche Führungsperson sich das gerne anders wünscht. Wie viel können Musiker mitreden? war die Frage, mit der die eröffnende Gesprächsrunde offiziell überschrieben wurde. Wie viel sollen Musiker mitreden? war ihre ehrlichere und wohl deshalb nur verbal geäußerte Variante. Wie von einer aufziehenden Gefahr wurde über den wachsenden Anspruch der Mitarbeiter nach Mitspracherechten berichtet, von einem allgemeinen Generationentrend, ein Wort, das sich in diesem Zusammenhang anhörte wie Phase, von der man sich erhofft, dass sie lieber früher als später wieder vorbei sei. Dabei hätte man der durchaus zu Recht aufgeworfenen Frage danach, wer denn die Verantwortung übernehme, wenn alle mitentscheiden könnten, einmal ernsthaft und in Ruhe nachspüren können. Der Schaukampf auf dem Podium aber war eher darauf konzipiert, Stimmung statt Erkenntnis zu produzieren.
Kann ein Orchester besser sein, wenn seine Musiker mehr in Entscheidungsprozesse involviert sind?, brach Andreas Richter die Diskussion endlich auf ihren eigentlichen sachlichen Kern hinunter. Der Intendant des freien Mahler Chamber Orchestras bejahte dies und verließ seine Position auch nicht angesichts des Einwands, mit betonköpfigen Musikern sei nun einmal unmöglich zu beraten und zu entscheiden. Die Betonköpfe, die es in jedem Orchester, aber auch nur in einer Minderzahl gäbe, müsse man halt identifizieren, um sich mit ihnen gesondert zusammenzusetzen, empfahl Richter. An der grundsätzlichen Richtigkeit einer verstärkten Mitarbeitermitgestaltung ändere dies aber nichts. Was er und sein Kollege Hans-Georg Kaiser vom Freiburger Barockorchester über das konstruktive Miteinander von Management und Musikern sonst noch zu berichten wussten, bereitete etlichen ihrer Kollegen aus TVK-Orchestern sichtbares Unbehagen. Zutreffend mag es sein, dass manches festangestellte Orchestermitglied in punkto Selbstmotivation, Einsatzbereitschaft und Interesse an übergeordneten, das Orchester in seiner Ganzheit betreffenden (Zukunfts-)Fragen noch einiges von seinen selbstständig arbeitenden Kollegen in den freien Klangkörpern lernen kann. Die Manager der öffentlich finanzierten Orchester von ihren Kollegen der privat finanzierten im Hinblick auf Kommunikationskultur und Personalentwicklung aber mindestens genauso.
Nicht ohne Pikanterie war es da, dass die Teilnehmer des Deutschen Orchestertags sich innerhalb eines zweiten inhaltlichen Tagungsschwerpunkts mit Social Media beschäftigen sollten. Einem Kommunikationsinstrument, dessen gesamte innere Logik auf die Überwindung des einseitigen Informationsflusses zugunsten des dialogischen Austauschs zielt. Ein Instrument geradezu basisdemokratischer Teilhabe und Beteiligung, das die Außenkommunikation und ‑darstellung auch der Orchester und Musiktheater auf Dauer grundlegend verändern wird. Zumal gerade Kulturinteressierte, wie eine aktuelle Studie des ifo-Instituts zeigt, sich besonders gerne im Internet aufhalten.
Wer heute noch fragt, was Facebook, Twitter, Apps und Co. ist, sei bereits ins Hintertreffen geraten, so Nicole Simon, Social-Media-Expertin in ihrem ebenso fundierten wie versierten Vortrag. Die Frage sei nicht, was es die Orchester koste, Social Media für ihre Belange einzusetzen, sondern was es koste, es nicht zu tun. Auch wenn man mit den einschlägigen Tools derzeit oftmals noch ins Unbekannte sende und sich für die finanziellen wie zeitlichen Investitionen keine Gewinnschwelle errechnen ließe, die zugleich Beleg dafür wäre, dass ein bestimmtes Pensum an Social-Media-Aktivität automatisch z.B. zu einem erhöhten Kartenverkauf führt. Ein Sachverhalt übrigens, den im Kern auch Rolf Bolwin, Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, meinte, als er ausdrücklich davor warnte, sich bei der Öffentlichkeitsarbeit der Orchester nicht in den Social Media zu verlieren. Ein Warnhinweis, der in seinem Lösungsansatz freilich wesentlich zu kurz greift, weil wohl kaum ein anderes PR-Instrument so sehr durch tägliches Erfahren und Erspüren erlernt werden muss wie dieses. Der alte Managertraum, durch kühl kalkulierte Impulsgebung quasi auf Knopfdruck jedwedes gewünschte Ergebnis herstellen zu können, kann an dieser Stelle nur unerfüllt bleiben, weil die Menschen im Social Web sich schlicht dagegen sperren, einfach an die Hand genommen zu werden.
Über die Beschwerlichkeiten der Arbeit, bedingt durch den Faktor Mensch, wusste Rolf Bolwin in seinem ausführlichen Referat denn noch mehr zu berichten. Insbesondere über die Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen, den eigentlichen Arbeitgebern der Musiker, die mühseliger geworden sei, da die politisch Verantwortlichen zunehmend selbst mehr auf die Orchester zugreifen und mitbestimmen wollten, was nicht nur die Tarifautonomie beschneiden, sondern das Tarifgeschäft regelmäßig in politische Auseinandersetzungen hineinziehen und dadurch die Arbeit für den Bühnenverein komplizierter machen würde. Zumal man es en gros mit einer Politikergeneration zu tun habe, die der Musik persönlich nicht sonderlich nahe stünde. Die Einheitlichkeit des TVKs zu erhalten und der deutlich spürbaren Gefahr seiner Zweiteilung in einen TVK für die Länder und einen für die Kommunen entgegenzutreten, bewertete Bolwin als eine der größten Herausforderungen für die Zukunft neben dem angemessenen Umgang damit, dass sich immer mehr Spitzenorchester aus dem Flächentarifvertrag auskoppeln möchten. Der Bühnenverein, so kündigte Bolwin an, werde sich künftig stärker auch um die außertarifpolitischen Belange der Orchester bemühen wollen. Durch die Erhebung statistischen Materials z.B. über Konzertprogramme und ‑formate werde man dem Informationsbedürfnis der Orchester über sich selbst, aber auch der Orchesterträger über die Orchester verbessert nachkommen können.
Es war bei diesen Ankündigungen der Gedanke nicht zu verhindern, warum sie erst jetzt und nicht schon viel früher getroffen wurden. Erkenne dich selbst! propagierten schließlich schon die Gelehrten der Antike. Und tun es heute erst recht die Berater für Unternehmen, Marke und Kommunikation. Welches ist mein Potenzial, welche meine Position, wo und wofür stehe ich? Die Klärung dieser Fragen ist notwendige Handlungsvoraussetzung, auch für die Orchester und nicht zuletzt zur Sicherung ihrer Zukunft. Welche anderen Kulturanbieter auf dem Markt könnten sich eventuell zu Konkurrenten entwickeln? Welche Krisenszenarien sind denkbar? Welchen Plan habe ich, mit dem ich gegebenenfalls reagieren könnte? Peter Höbel, Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung PRGS-crisadvice, empfahl, darüber nachzudenken und gab Expertenwissen wie ‑erfahrung an die Anwesenden seines überfüllten Seminars zum Thema Krisenkommunikation weiter. Andere Workshops wie z.B. der zu Stimme und Stimmtraining waren wesentlich weniger gut besucht. Die Zukunft, der sich deutsche Orchestermanager entgegengehen sehen, ist offenbar keine rosige.