Feidman, Giora

Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt

Erinnerungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Pattloch, München 2011
erschienen in: das Orchester 09/2011 , Seite 68

Der 75. Geburtstag ist für Giora Feidman Anlass, sein Leben Revue passieren und sein Publikum daran teilhaben zu lassen. Es ist die Geschich­te eines Vollblutmusikers, der in verschiedenen Welten zuhause ist, dessen Lebensweg – von Karriere mag er selbst nicht sprechen – viele positive Wendungen erfahren hat, die sein Talent in verschiedene Richtungen weiterentfaltet haben. Feidmans Biografie, die er mit Unterstützung von Minka Wolters verfasst hat, ist ein Buch des Danksagens, keine Anhäufung von Anekdoten und Kuriositäten seines Lebens, keine Statistik seines Konzertlebens. Es sind die Menschen, denen er begegnet ist, die ihn geprägt und gefördert haben, an die er sich erinnert.
Zunächst ist da seine Familie und vor allem sein Vater Leo, der berühmteste Klezmer-Klarinettist seiner Zeit in Südamerika, der sein „wichtigster“ erster Lehrer war und der ihn auf ungewöhnliche Weise im Radio-Sinfonieorchester von Buenos Aires, seinem Geburtsort, einführte. Ein Mitglied des Orchesters vermittelte ihn dann zu Juan Daniel Skoczdopole vom Teatro Colón, der ihn 19-jährig auf die dortige Position des zweiten Kla­rinettisten brachte. Bis zu dessen Tod blieb Feidman seinem Lehrer und Freund verbunden und half diesem in den kargen Jahren des Rentnerlebens in Argentinien.
Nach nur zwei Jahren wechselte Giora Feidman – der zu dieser Zeit noch Gedalie mit Vornamen hieß, den er 1957 kraft eines Einspruchs einer Mitarbeiterin des israelischen Rundfunks in Giora veränderte – in das Is­rael Philharmonic Orchestra. Damit konnte er sich den Wunsch erfüllen, seinem Herzen zu folgen und „zurück in die wahre Heimat“ zu gelangen. Schnell knüpfte er in Israel Kontakte zu anderen Musikern und ging auf die Suche nach traditionellen Liedern, um die Klezmer-Tradition aufzuspüren. Achtzehn Jahre hielt Feidman dem Orchester die Treue. Erst als seine Konzertverpflichtungen als Klezmer-Musiker überhandnahmen, gab er diese Tätigkeit auf. Ein weiterer Grund war ein Augenleiden. Seine zweite Frau, die Komponistin Ora Bat Chaim, war die treibende Kraft für den Aufbruch in die USA, um von dort aus „die jüdische Musik in die Konzertsäle zu bringen“.
Nach großen Erfolgen verlagerte sich Feidmans Wirken nach Europa, auch nach Deutschland, wo er mehrfach auch als musizierender Schauspieler gefragt war. Ausführlich wird seine Freundschaft zu Peter Zadek dargestellt, der ihn für seine Inszenierung von Joshua Sobols Ghetto engagierte. Dieses Stück führte ihn zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Seine Aktivitäten machten ihn schließlich zum Botschafter der Musik in vielerlei Hinsicht: in der Versöhnungsarbeit zwischen Deutschen und Juden, Juden und Christen sowie in der Jugendarbeit in „Konzentrationslagern“.
Neben den biografischen Fakten, die stets in einen gut lesbaren Erzählfluss eingebettet sind, erfährt man sehr viel über Feidmans Musikauffassung. Die Erinnerungen zeigen einen ganz in der Musik – gleich welcher Stilart – lebenden, auf ein erfülltes Leben dankbar zurückblickenden Menschen, der die Musik mit seinen Zuhörern teilen möchte.
Heribert Haase

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