Annemarie Jaeggi/Jörg Rothkamm (Hg.)

„Du bist mir Kunst“

Der Briefwechsel Alma Mahler – Walter Gropius 1910 bis 1914

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Residenz Verlag, Wien/Salzburg
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 65

Sie gehört zu den schillerndsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts und war eine außergewöhnliche Frau: Alma Maria Schindler (1879–1964), verwitwete Mahler, geschiedene Gropius und verwitwete Werfel, die in der Wiener Musikwelt als die „Grande Dame“ galt. Annemarie Jaeggi und Jörg Rothkamm beleuchten nun den vorhandenen Briefwechsel zwischen Alma Mahler und dem späteren Bauhaus-Mitbegründer Walter Gropius, und zwar die recht wechselvolle Zeitspanne zwischen 1910 und 1914, insbesondere deshalb, weil er „eine in sich geschlossene Korrespondenz von weit über tausend Briefen und Briefentwürfen“ darstellt, so die Herausgeber.
Mahler und Gropius hatten sich im Sommer 1910 im österreichischen Kurort Tobelbad in der Nähe von Graz kennengelernt. Der Briefwechsel zeugt von ihrer bald entflammten Liebe, anfangs noch als geheime Affäre. Gustav Mahler wurde jedoch bald in Kenntnis gesetzt und erlitt einen emotionalen Zusammenbruch. Trotzdem wurde der Briefwechsel bis Anfang 1912 leidenschaftlich fortgeführt, erkaltete aber bald. Unter wechselnden Voraussetzungen endete dieser erst 1964.
Die Korrespondenz, die jahrelang in einem Karton ihr Dasein fristete, besteht aus Briefentwürfen an Alma, dokumentiert ferner die ersten Jahre von Gropius’ Karriere, die Entwicklung seines Denkens und seine Kommentare über Begegnungen mit anderen berühmten Zeitgenossen.
Zu Alma Mahler erfährt der interessierte Leser aber auch, dass sie mit Blick auf ihr eigenes Leben, welches sie beispielsweise in ihren Memoiren abbildete, „nicht nur für die Nachwelt“ zensiert hatte, „sondern auch größere Ereignisse oder ganze Kapitel ihres Lebens bewusst anders darstellte, als sie tatsächlich geschehen waren“. Gerade diese Zeit zwischen 1910 und 1912 würde in den autobiografischen Veröffentlichungen fehlen. Die Briefe von Gropius dieser Jahre hatte Alma vernichtet. Es seien daher, so die Herausgeber weiter, der vorliegende Briefwechsel und die Briefentwürfe nicht nur „die einzige unzensierte Quelle für diese Liebesgeschichte, sondern auch für Alma Mahlers gesamtes Privatleben der Jahre 1910 bis 1914“. Ebenso liegt erstmals auch der Briefwechsel zwischen Alma und Gustav Mahler vollständig vor, der wichtige Aufschlüsse über das letzte Jahr seines Lebens liefere.
Somit ist das vorliegende Buch mit den Briefen und aussagekräftigen Bildern des damaligen Lebenskreises ein Muss nicht nur für jeden Mahler-Interessierten, sondern bietet auch anderen, die sich für die Zeit des „Fin de siècle“ interessieren, eine feine und spannend zu lesende, beinahe voyeuristische Quelle. Besonders wertvoll sind hierbei die kenntnisreichen Kommentare und der hohe wissenschaftliche Anspruch.
Werner Bodendorff