Thilman, Johannes Paul / Rainer Lischka

Dresdner Konzerte

zeitgenossen – Musik der Zeit 28

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hastedt HT 5328
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 59

Vier Jahrzehnte Musik in der DDR – für viele jetzt schon, wenn nicht schon immer, eine Terra incognita. Sogar Berufshörer aus dem Westen Deutschlands, denen die Berliner Musikbiennale oder die Dresdner Tage für Neue Musik ferner lagen als der „Prager Frühling“ und der „Warschauer Herbst“, dürften kaum eine Note der Dresdner Komponisten Johannes Paul Thilman und Rainer Lischka kennen. Nun, da die ideologischen Kämpfe postmoderner Gelassenheit und der Nachsicht der Nachgeborenen gewichen sind, hätte ihre Musik eine letzte Chance, sine ira et studio wahrgenommen zu werden. Mögen sich Dirigenten, Orchesterdirektoren und Rundfunkredakteure ihrer Partituren annehmen, bevor sie das Tor des Vergessens endgültig durchschritten haben.
Zum 100. Geburtstag des Dresdner Komponisten und Hochschullehrers Johannes Paul Thilman fasste das Bremer Label Hastedt den glücklichen Entschluss, drei seiner Instrumentalkonzerte mit zwei Orchesterwerken seines ehemaligen Schülers Rainer Lischka zusammenzuspannen. Der Schüler Hermann Scherchens und Hermann Grabners stand früh im Banne von Hindemith, Strawinsky und Françaix. Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung gehen in seinen hier dokumentierten, vom DDR-Rundfunk aufgenommenen Werken eine glückliche Verbindung ein. Grundsätzlich ging es ihm darum, „ein Werk zu gestalten, das soviel Avanciertheit enthält, dass es wirklich vorwärts weist, aber auch soviel Tradition aufweist, dass es nicht nur Rätsel aufgibt“.
Während im Concertino für Trompete und Kammerorchester von 1954 noch Hindemiths Geist weht, setzt sich im fünfteilig durchkomponierten Doppelkonzert für Bassklarinette und Klavier mit Streichorchester und Schlagzeug (1968) ein eigener Ton durch, getragen von motivischer Einheit in der Vielfalt, originellem Klangfarbensinn und dialogischem Witz. Ein kleines Meisterwerk, vom Dresdner Konzertmeister Ralf Carsten Brömsel famos gestrichen (und gezupft), ist das 1972 komponierte, erst 1981 posthum aufgeführte Konzert für Violine und Kammerorchester.
„Unterhaltsamkeit und Leichtigkeit, in der Ernsten Musik oft als oberflächlich denunziert, sind für mich erstrebenswerte, wenn auch schwer herstellbare künstlerische Qualitäten“, bekennt Rainer Lischka (Jahrgang 1942), der Jazz, Gershwin und Bernstein mag und sich auch als Kinderliedkomponist nicht zu schade ist. Sein Tresillo-Concertino für Trompete und Kammerorchester (2001) – der spanische Titel spielt auf die vorherrschend dreigliedrigen Rhythmen des Stücks an – mündet in den beschwingten zweiten Satz, dem Lischka Melodiezeilen des altdeutschen Volkslieds Wie kann und mag ich fröhlich sein einwob. Ein Bravo für den Solotrompeter und Ideenspender des Konzerts, Matthias Schmutzler! Nicht minder kurzweilig, doch „nachdenklicher“ als das flotte Trompetenkonzert, klingt Lischkas „Musik für Orchester“ mit dem treffenden Titel Akzente (1983) – Hinweis auf Betonungen, die gern im Off-Beat daherkommen. Im zentralen dritten Satz saugt der Komponist (auch bitteren) Honig aus dem Spiritual Sometimes I feel like a motherless child.
Lutz Lesle