Rinck, Johann Christian Heinrich

Drei Sestetti

Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr, Köln 2006
erschienen in: das Orchester 03/2007 , Seite 85

Vor allem als Orgelmeister und Kirchenmusiker ist Johann Christian Heinrich Rinck der Musikwelt in Erinnerung. Als Enkelschüler Bachs (er genoss den Unterricht von Johann Christian Kittel) trug der Beethoven-Zeitgenosse wesentlich zur Bach-Pflege zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei. 1770 in Thüringen geboren, kam er über Erfurt und Gießen 1805 nach Darmstadt, wo er als Stadtkantor, Geiger der Hofkapelle, Orgelsachverständiger und Musiklehrer bis zu seinem Tod 1846 tätig war.
Rincks Werke außerhalb der Kirchenmusik finden erst in den vergangenen Jahren Beachtung und lenken das Ohr auf einen Komponisten, der, wenn auch von seinen Zeitgenossen respektvoll als „Rheinischer Bach“ betitelt, ganz in der Musik seiner Zeit zuhause war und sowohl Mozart als auch Haydn gut studiert haben muss. Dass er Beethovens Werk kannte – wie dieser schrieb Rinck zu Beginn seiner Musikerlaufbahn ein Klaviertrio in Es-Dur –, ist mehr als wahrscheinlich.
Dies zeigen auch die drei Sestetti, die nun erstmals im Druck greifbar sind. Noch in Gießen entstanden (zwischen 1790 und 1805), bleiben sie zu Lebzeiten Rincks unveröffentlicht, sind aber als Autografe in der Yale University (New Haven, USA) erhalten geblieben. Sie zeigen den Komponisten auf der Höhe seiner Zeit. Es handelt sich um drei bemerkenswerte Kompositionen in Es-Dur, B-Dur und C-Dur für die Besetzung Klarinette bzw. Oboe, Horn, Violine, Viola, Cello und Tasteninstrument. Das mittlere Werk ist viersätzig (plus Menuett), die anderen haben jeweils drei Sätze in klassischer Form. Markante Themen, Einfallsreichtum in den harmonisch anspruchsvollen Durchführungen und nicht zuletzt Kennerschaft im kontrapunktischen Gefüge zeichnen diese Werke aus.
Auch wenn die Handschrift des Komponisten im Erstling ein „Cembalo“ verlangt – die beiden anderen Partituren tragen keine genaue Bezeichnung –, ist dieses nicht etwa als Generalbassinstrument behandelt, sondern als gleichberechtigter, gelegentlich auch solistisch auftretender Partner der übrigen. Der Komponist spricht selbst von 3 Sextetten für Clavier… (Selbstbiografie, Köln 2003) und Christian Dohr, der Herausgeber der jetzigen Ausgabe, hält es selbst für wahrscheinlich, dass ein Fortepiano gemeint sein könnte. Betrachtet man den Notentext genauer, so wird klar, dass ein Cembalo kaum leisten kann, was hier an dynamischer Differenzierung, an lang gehaltenen Basstönen oder diversen Klangeffekten gefordert ist. So wundert es schon, dass der Herausgeber an der Bezeichnung „Cembalo“ bei allen drei Kompositionen festhält, was falsche Erwartungen an die Stücke wecken mag.
Doch auch andere publizistische Entscheidungen erstaunen. Mag ein zweitaktiger harmonischer Irrläufer des Cellos (Nr. 2; 1. Satz, Takte 107/08) noch im Toleranzbereich liegen, so ist der Wegfall sämtlicher Vorzeichen über ein komplettes System von sieben Takten (Nr.1; langsamer Satz, ab Takt 32) schon ärgerlicher, aber für professionelle Musiker immerhin noch leicht zu beheben. Kniffliger wird es im Menuett des B-Dur-Werks, wo ab Takt 9 wieder ein ganzes System ohne Vorzeichnung gedruckt ist und das Trio ebenfalls komplett ohne Vorzeichen auskommen muss – es steht in Es-Dur.
Solche Schlampereien lassen einen doch genauer in die Noten schauen, z.B. auf jene ersten Seiten der Handschriften, die als optischer Anreiz abgedruckt sind. Und siehe da: Da fallen bei der Adagio-Einleitung des 3. Sextetts auch dynamische Anweisungen auf, die im Druck „stillschweigend“ korrigiert wurden, aber anders, als im „kritischen“ Editionsbericht angegeben. Einiges erscheint in eckigen Klammern, anderes nicht, und die meisten Angaben sind erfunden. Ein in der Handschrift deutlich sichtbarer Doppelstrich am Ende der Einleitung wurde stattdessen ignoriert. So wundern schließlich auch die Decrescendo-Gabeln in der „Cembalo“-Stimme nicht mehr, die, so erfährt man im Kommentar, aus der Violinstimme auf alle anderen Instrumente übertragen wurden, ohne dass diese Herausgeber-Interpretation des originalen Notentextes aus der gedruckten Partitur sogleich zu ersehen ist.
Matthias Roth