Shchedrin, Rodion / Boris Tishchenko
Drei Hirten/Die Fresken des Dionysios / Konzert für Klarinette und Klaviertrio
Das Münchner Ensemble Zeitsprung wurde im Jahr 2006 gegründet, und dies ist seine Debüt-CD. Die Musiker widmen sich in erster Linie der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei sie besonderen Wert darauf legen, mit lebenden Komponisten zusammenzuarbeiten. Auch das Programm der vorliegenden CD verdankt seine Entstehung dem Kontakt mit den Komponisten der präsentierten Werke: Als Rodion Shchedrin das Ensemble mit seinem Trio Drei Hirten hörte, war er so begeistert, dass er sich eine Aufnahme dieses Werks mit den Musikern wünschte ein Wunsch, der ihm pünktlich zu seinem 80. Geburtstag am 16. Dezember 2012 erfüllt wurde. Auch Boris Tishchenkos Konzert für Klarinette und Klaviertrio übte Zeitsprung im Jahr der Ensemblegründung noch gemeinsam mit dem Komponisten ein.
Gemeinsam ist allen drei Kompositionen bei der dritten handelt es sich um Shchedrins Ensemblewerk Die Fresken des Dionysios ein Bezug zur Vergangenheit, der russischen zumal: Den Fresken liegen als Inspiration Wandmalereien des Ikonenmalers Dionysios aus dem frühen 16. Jahrhundert zugrunde, und in den Drei Hirten erinnert sich Shchedrin an seine eigene Kindheit auf dem Land, als er den Hirten beim Musizieren auf ihren Blasinstrumenten zuhörte. Drei Instrumente Flöte, Oboe und Klarinette nähern sich einander an, dialogisieren, kommunizieren immer intensiver, bevor sie sich dann, im wörtlichen Sinn, voneinander entfernen. Der Raumklangeffekt ist auf der CD natürlich eingefangen, und man spürt die Freude der Musiker bei der Wiedergabe dieser ländlichen Szene, die bei aller gewollten diatonischen Einfachheit durchaus hohe Anforderungen an Musiker wie Zuhörer stellt. Die asketische, fragile Stimmung der Fresken des Dionysios ist von den Musikern ebenfalls äußerst sensibel eingefangen.
Von besonderem Interesse ist die Bekanntschaft mit Boris Tishchenkos Konzert für Klarinette und Klaviertrio. Auch bei diesem Werk handelt es sich, nach Aussage des Komponisten, um ein In-Töne-Setzen von Kindheitserinnerungen, wie sie sich vielleicht in den volksmusikartigen Intonationen des Kopfsatzes manifestieren. Auch wenn Tishchenko, ein Lieblingsschüler Schostakowitschs, sich eines relativ traditionellen Stils bedient, ist doch seine Tonsprache alles andere als leicht zu rezipieren: Der sparsame Umgang mit dem Tonmaterial lässt an den späten Schostakowitsch denken, häufige unwirsche, gar brachiale Ausbrüche gemahnen an Schnittke. Im durchweg von motorischer Bewegung durchzogenen zweiten Satz entgeht Tishchenko auch nicht immer der Gefahr der Langatmigkeit. Dennoch vermag das Stück in seiner konsequenten Bogenform und den aparten klangfarblichen Kombinationen durchaus zu fesseln: Während der langsamen und friedvollen Coda des Finales hat der Hörer das Gefühl, am logischen Schlusspunkt einer Entwicklung angekommen zu sein. Alles in allem ein ebenso faszinierendes wie erfolgreiches Plädoyer für selten gespielte Raritäten!
Thomas Schulz