Krommer, Franz / Louis Spohr
Double Clarinet Concerto / Clarinet Concertos Nos. 2 & 4
Wer sich in der Klarinettenszene auskennt, wird sich wundern, dass Sabine Meyer auf ihrer CD mit Werken von Franz Krommer und Louis Spohr nicht mit einem musikalischen Partner aus ihrem Familien-Trio, dem Trio di Clarone, musiziert. Das Geheimnis zu lüften, ist für den neugierigen Hörer allerdings nicht ganz einfach, da das Beiheft nichts über die Interpreten aussagt. Hört man dann erst einmal in die Aufnahme hinein, erlebt man im Doppelkonzert Es-Dur op. 91 von Franz Krommer, einem bedeutenden Zeitgenossen der drei großen Wiener Klassiker, ein außergewöhnlich übereinstimmendes Musizieren von Sabine Meyer und Julian Bliss. Tongebung und -färbung liegen ganz nahe beieinander, das Zusammenspiel ist technisch perfekt und die von einer Leichtigkeit und Spielfreude geprägte Interpretation zeigt die Ebenbürtigkeit der Partner. Unterschiede zeigen sich dann eher in der Interpretation der beiden Klarinettenkonzerte von Louis Spohr. Von den vier Konzerten, die Spohr für seinen Klarinettisten Simon Hermstedt geschrieben hat, steht nur das zweite, sein op. 57, in einer Dur-Tonart. Dieses Konzert kommt Julian Bliss sehr entgegen, der hier sein überragendes technisches Talent und seine bis in die höchsten Lagen sichere Tonkultur demonstrieren kann. Aber auch in den lyrischen Partien zeigt sich eine große Aussagekraft.
Sabine Meyers unumstrittene bläserische Klasse beweist sich wieder einmal an Spohrs viertem Konzert in e-Moll, WoO 20, dessen virtuose Elemente ihr leicht von der Hand gehen und nie in den Vordergrund treten. Ihr Spiel ist von großer Sanglichkeit erfüllt. Dass die Interpretation dennoch nicht ganz beglückt, liegt zu einem großen Teil an dem zu wenig klangsensiblen Spiel der Academy of St. Martin in the Fields unter ihrem künstlerischen Direktor Kenneth Sillito.
Nach dem musikalisch höchst befriedigenden Hörerlebnis mit Julian Bliss bleibt immer noch die Frage nach seiner Herkunft. Was das Beiheft nicht verrät, findet sich im Internet: Dieser englische Klarinettist ist gerade einmal 18 Jahre alt und hat schon weltweite Auftritte hinter sich. Er studierte in Amerika bei Howard Klug und jetzt bei Sabine Meyer in Lübeck. Es ist eine noble Geste der Pädagogin, sich mit ihrem hochtalentierten Meisterschüler gemeinsam zu präsentieren.
Den großen Bläser-Kompositionen des Dänen Carl Nielsen (1865-1931) ist die zweite EMI-Neuerscheinung gewidmet. Inspirationsquelle für das Querflötenkonzert wie auch für das Klarinettenkonzert war das Bläserquintett op. 43, das Nielsen in seiner späten Schaffensphase komponierte. Seine Absicht, anschließend noch für alle Blasinstrumente ein eigenes Konzert zu schreiben, konnte nur für die beiden hier eingespielten Konzerte in die Tat umgesetzt werden. Es sind zwei ganz unterschiedliche, äußerst ideenreiche Kompositionen, denen aber der ungemein hohe Anspruch an die Solisten gemeinsam ist. Sabine Meyer gestaltet ihren Solopart ebenso wie der phänomenale Emmanuel Pahud mit großer Eindringlichkeit und technischer Bravour. Beiden Musikern gelingen die zum Teil sprunghaften Charakterwechsel, die Nielsens Kompositionsstil prägen, mühelos. Sie haben mit den Berliner Philharmonikern unter dem spannungsvollen Dirigat Simon Rattles auch erstklassige Partner zur Seite, die häufig im Dialog mit den Solisten ihre eigenen Soloqualitäten zeigen können.
Im Bläserquintett op. 43 vereinigen sich die brillanten Solo-Bläser der Berliner Philharmoniker und Sabine Meyer zum Quintett: Neben Emmanuel Pahud bringen der Oboist Jonathan Kelly, der Fagottist Stefan Schweigert und der Hornist Radek Baborák dieses vielgestaltige, besonders die Individualität der einzelnen Instrumente hervorkehrende Quintett mit seinem Klangfarbenreichtum zur vollen Entfaltung.
Heribert Haase