Philip Eisenbeiss
Domenico Barbaja
Schillernder Pate des Belcanto
Seine Statue stand bis vor Monaten in Nebenräumen, jetzt aber im grandiosen Foyer des Teatro San Carlo in Neapel: ein fast analphabetischer Kaffeehauskellner, raffinierter Casinobetreiber, dazu auch nennenswerter Frauenheld – und als Impresario für die Uraufführung von 57 Opern verantwortlich, darunter Klassiker von Rossini, Bellini, Mayr, Donizetti, Carl Maria von Weber und Schubert.
Über die Stars der Epoche gibt es profunde Literatur, von Rossini bis Verdi, auch über den ein oder anderen Auftraggeber, über Mäzene beiderlei Geschlechts und über den starken Einfluss von Geschichte und Gesellschaft. Doch der vielfach gewiefte „Drahtzieher“ dahinter stand bislang eher nur als Name in Nachschlagewerken: Domenico Barbaja (1777–1841). Autor Eisenbeiss nennt ihn im Untertitel zutreffend „Pate“: Barbajas wildbewegte, krisen- und prozessreiche Tätigkeiten erinnern fatal an mafiose Vorgehensweisen.
Der gegenüber der alten Mailänder Scala kellnernde Barbaja war so musikaffin veranlagt, dass er zur Oper musste, anfangs auch wegen der finanziellen Gewinnmöglichkeiten beim in Opern-Foyers betriebenem Glücksspiel: Kartenspiele des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zum französischen Roulette. Barbaja wurde als Croupier reich, erkaufte sich die Betriebserlaubnis des bis zur Einigung Italiens bedeutendsten Opernhauses und avancierte zum erfolgreichsten Impresario Neapels.
Aufgrund seines Erfolgs dehnte der so geschäftstüchtige wie verhandlungsgeschickte Barbaja seinen „Be-Spielraum“ ans Wiener Kärntnertortheater (1822–24) und an die Mailänder Scala (1826–29) aus, besetzte Produktionen und verhandelte sogar über die Leitung der Opern in Paris und London – um dann seine letzte Periode doch wieder in Neapel zu verbringen. Er holte herausragende Gesangsstars auf die Bühne – von Colbran bis Malibran, von Rubini über Nourrit bis Duprez –, verbesserte die Orchesterqualität und lockte Komponistengrößen nach Neapel: über 30 Uraufführungen von Rossini, darunter Elisabetta, Otello oder Zelmira; 27 Werke Donizettis wie La Zingara und Roberto Devereux; Bellinis Bianca e Fernando, Pirata und Straniera, Mayrs Medea. Theater- und aufführungsgeschichtlich etablierte der innovationsfreudige Impresario auch stets die neueste Bühnentechnik, schaffte Logenvorhänge ab, verdunkelte den Zuschauerraum und suchte durch die neueste Lampentechnik die üppige Bühne ins Zentrum zu rücken. Für Privataufführungen, grandiose Feste und seine zahlreichen Affären hatte Barbaja eine Traumvilla an der Halbinsel Posillipo voller Kunstschätze.
All diese fintenreichen, halb bis durchweg korrupten, opernhaft dramatisch überschäumenden Jahre werden durch Eisenbeiss’ flüssigen, gut lesbaren Stil amüsant lebendig. Er belegt aus der Literatur von Opernreisenden und den Memoiren der Stars Zentrales und bezieht die turbulente Historie von den Bourbonen über Napoleon bis zu den Habsburgern mit ein. Ein anschauliches Zeitgemälde entsteht, durchzogen von opernhaften Eitelkeiten und Intrigen – und viel Oper.
Wolf-Dieter Peter