Schulhoff, Erwin
Divertimento
für Streichquartett, Partitur und Stimmen
In den 1920er Jahren zählte Erwin Schulhoff (1894-1942) zu den interessantesten Figuren der zeitgenössischen Musikszene, der sowohl als gefeierter Konzertpianist wie als unkonventioneller Komponist im Dunstkreis von Neoklassizismus, Neuer Sachlichkeit, Dadaismus und Jazz-Rezeption in Erscheinung trat. Schließlich wandte er sich verstärkt sozialistischen Ideen zu, was in der Kantate Das Kommunistische Manifest (1932/33) seinen plakativen Höhepunkt fand. Wer weiß, wohin es den unkonventionellen Tschechen noch geführt hätte, wäre er nicht im Konzentrationslager ermordet worden.
Das hier in Erstausgabe vorliegende Divertimento für Streichquartett op. 14 (1914), das erste von insgesamt fünf Streichquartetten, lässt den späteren Protagonisten Dresdner, Berliner und Prager Avantgarde-Zirkel allerdings noch nicht erahnen, handelt es sich bei diesem fünfsätzigen Frühwerk am Ende von Schulhoffs Kölner Studienzeit doch um ein unbeschwertes, relativ konventionell gearbeitetes Stück Neoklassizismus mit gefälligen Anklängen an slawische Folklore, das im kontrastiven Wechsel schneller und langsamer Partien seinem Namen alle Ehre macht.
Kurz und bündig fließt der Kopfsatz mit lebhafter Rhythmik dahin, dessen beschwingtes Thema der 1. Violine von einem Hauch Melancholie durchweht ist und von einem folkloristischen Quint-Bass-Bordun im Cello grundiert wird. Statt klassischer Sonatenhauptsatzform überraschen zwei wörtliche Rekapitulationen der Hauptthemenabschnitte, dazwischen durchführungsartige Passagen in orchestralerem Satz. Das auffallend homofone Satzbild im Sinne diverser Melodie- und Begleitungsschemata wird von den folgenden Sätzen nur bestätigt, die nicht nur alle der dreiteiligen Liedform frönen, sondern reichlich Gebrauch von Wiederholungs- und Da Capo-Mustern machen.
Ruhig fließend entfaltet sich die volkstümlich-schlichte Cavatine (II), deren gedämpfter Gesang sich in bilderbuchmäßigen Vorder- und Nachsatz-Viertaktern abspielt; ihr etwas bewegterer Mittelteil wird von einer fließenden Viertelbewegung in der ersten Violine beherrscht, die von auf- und abwogenden Achtelskalen der Mittelstimmen grundiert wird.
Das scherzoartige Intermezzo (III) gibt sich als aufgeräumter Pizzikato-Satz im 3/8-Takt, der melodische Elemente aus dem Kopfsatz aufgreift und dessen trioartiger Walzerteil mit überraschenden Tempowechseln aufwartet. Die melodisch weit ausschwingende Romanze (IV) entpuppt sich als veritabler Schmachtfetzen, wo Bratsche und 1. Violine abwechselnd um die schönere Melodie buhlen, bevor im agileren Mittelteil endgültig, zumal in einer kleinen Kadenz, die 1. Violine die Oberhand gewinnt. Den größten Raum des ca. zwanzigminütigen Werks nimmt das abschließende Rondo ein, das unter Verwendung der charakteristischen Tonrepetition und anderer Themenbausteine aus dem Kopfsatz munter dahinjagt.
Ein formal unspektakuläres, melodisch gewinnendes und doch harmonisch reiches Streichquartett-Divertimento, das sich spieltechnisch in ganz moderaten Regionen bewegt.
Dirk Wieschollek