Toshio Hosokawa

Distant Voices for string quartet

Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Tokyo
erschienen in: das Orchester 03/2024 , Seite 64

Toshio Hosokawa ist einer der zeitgenössischen Komponisten, deren Tonsprache inzwischen einen sehr großen Wiedererkennungswert hat. Ganz unverwechselbar, wie der 1955 in Hiroshima Geborene seine Musik aus der Stille heraus entwickelt, wie leise Stellen und Pausen den Fluss seiner Werke prägen und wie Linien bei Hosokawa besonders weiträumig in Töne und Klänge gesetzt werden. Toshio Hosokawas Kompositionen haben etwas Meditatives, gleichzeitig schaffen sie es aber auch, die Spannung über unregelmäßig gesetzte und bisweilen sehr scharfe Akzente aufrechtzuerhalten.
Das Distant Voices betitelte Streichquartett weicht von diesem Muster kaum ab. Während einer Spieldauer von rund zehn Minuten – so etwas wie die inzwischen typische Durchschnittslänge von Hosokawas Kompositionen – dominieren leise Töne beziehungsweise fast immer Klänge, da die vier Streicher kaum je solistisch zum Einsatz kommen. Mitunter strukturieren heftige, ja fast brachiale Akzente das musikalische Geschehen. Toshio Hosokawa weiß sehr gut mit den klanglichen Möglichkeiten von Violinen, Bratsche und Cello umzugehen und nutzt eine enorme Bandbreite an Klangfärbungen von sul ponticello gespielten Passagen bis hin zu „Bartók-Pizzicati“. Alle klanglichen Möglichkeiten, die Saiten, Bogenhaare und das Holz der Streichinstrumente hergeben, werden konsequent zur Kontrastierung des eher langsam und großflächig angelegten Flusses der Musik genutzt.
Die Wirkung dieses unter anderem von Alois Lageder für sein VIN-o-TON-Festival 2013 in Südtirol bestellte Streichquartett ist eher die einer sehr abstrakten Musik, obwohl der Komponist im Vorwort von einer musikalischen Landschaft und einer Art dominierenden Melodie im Hintergrund spricht. Die Distant Voices betonen so eher den räumlichen als den zeitlichen Aspekt der Musik, Vorder- und Hintergrund, hell und dunkel scheinen bedeutender als vorher und nachher oder ein melodiöser Entwicklungsprozess.
Wie immer in Toshio Hosokawas Kompositionen ist bei der Ausführung höchste Präzision gefragt. Das Quartett in Distant Voices ist eines, das sich blind versteht, das klanglich komplett zu verschmelzen vermag und Akzente setzt, die wie von einem einzelnen Organismus getriggert erscheinen. Der Begriff „musikalische Landschaft“, den der Komponist zur Beschreibung seines Werks nutzt, darf nicht täuschen: Gefragt ist hier bei der Interpretation kein breiter Pinsel, sondern ein musikalischer Laser.
Daniel Knödler