Beimel, Thomas

ding/dong

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Valve Records # 3987
erschienen in: das Orchester 02/2012 , Seite 77

So gediegen und verschwiegen wie Hülle und Beiheft mutet auch die Musik an, die den Cover-Designer zu farbigen Scheiben auf weißem Grund und dem lautmalenden Vers „ding, dong, dang. bim, bam“ inspirierte: Abbreviatur des Eingangsstücks, das zwei gegenweltliche Instrumente einvernehmlich zusammenführt: Guzheng – eine chinesische Zither – und Marimba, gespannte Saite und geschlagenes Holz. Wiegend, schwingend, tanzend finden zwei Kultursphären zueinander, ohne ineinander aufzugehen. Der Titel estampie (2008) verweist auf eine Form spätmittelalterlicher Musik, die dem Prinzip fortschreitender Wiederholung folgt.
Weder über das sanfte Duo SeidenStrasse noch über den Urheber der Töne erfährt man ein Sterbenswort. Laut Suchmaschine wurde Thomas Beimel 1967 in Essen geboren. Der komponierende und musikforschende Bratscher war Mitbegründer des Ensembles Partita Radicale, das bei ProViva einige hörenswerte CDs unter dem Reihentitel „Romania today“ herausbrachte. So kam wohl der Kontakt zu der Komponistin Myriam Marbe zustande, bei der Beimel noch Privatstunden nehmen konnte, bevor sie 1997 in Bukarest starb. Seine Werkliste nennt etliche Solo- und Kammermusiktitel, auch Vokalmusik.
In seiner Vorschule der Ästhetik begreift dieser die Idylle (als Zweig der Erzählkunst) musikalisch: als Versuch, den „Misston des Leidens“ in Wohllaut zu wandeln. Diese Deutung sagt auch etwas über Beimels Komponieren. Öfter mutet es stegreifartig an, wie im Streichquartett von 2006, dem sich das Berliner Sonar Quartett verschrieb: ein wohltönendes, konturklares Zeichenspiel, dessen Sinnebene sich verborgen hält – ähnlich der im Beiheft abgebildeten, rätselhaften Keilschrift, eingeprägt in eine fingergroße Lehmtafel: älteste Aufzeichnung eines Alphabets, gefunden in der antiken Siedlung Ugarit im heutigen Syrien. Daher der magische Werktitel ugarit.
Große Terz rauf, große Terz runter – wie ein betriebsinternes Lautsignal wirkt diese simple Klangzelle, aus welcher Beimel sein concertino für Viola und Streichorchester (2007) entwickelt. Ein akustisches Design, dessen kantige Kontur er durch Glissandi weichzeichnet. Unversehens spreizt es sich, gebiert lockere, unterschiedlich artikulierte Gewebearten. Ein Vexierspiel, ein Dschungel trügerischer Anklänge und Assoziationen, in dem sich die Solobratsche als Pfadfinderin behauptet.
Ein Komponist, der mit den Tönen haushält und das Leben jedes Einzeltons abhorcht, scheint für das heikle Genre des instrumentalen Solostücks prädestiniert. Was die drei Monologe bestätigen, jeder auf eigene Weise: …into space… für Kontrabass mit Resonanzsaiten, pastorale für Oboe allein und gaukelei für Akkordeon. Ihre hingegebenen Interpreten sind Sebastian Gramss, Georg Bongartz und Ute Völker. Schlichte Schönheit zeichnet Beimels Chorstücke aus. Sie leisten etwas, wozu sich akademi­sche Klangschöpfer hierzulande oft zu schade sind: kompositorische Aufgaben so zu lösen, dass sie für Liebhaber ausführbar bleiben. Wie die von Jean Paul angeregte, „in immer ferneren Weiten verschwimmende“ Tonwoge ding/dong oder das „linde Wellenschlagen“ in Eichendorffs Nacht-Gedicht. Beide Male mit dem tüchtigen Kettwiger Bach-Ensemble.
Lutz Lesle