Pressler, Menahem / Holger Noltze

Dieses Verlangen nach Schönheit

Gespräche über Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2016
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 58

Ein solch langes, erfülltes Künstlerleben, wie Menahem Pressler es führen kann, ist ein Wunder und eine Gnade. Der 1923 in Magdeburg als Sohn eines Kaufmanns Geborene entdeckte schon früh seine Neigung zur Musik und speziell zum Klavierspiel. Glück war es für ihn, dass er durch die rechtzeitige Flucht seiner Familie nach Palästina im Jahr 1939 dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden gerade noch entkam.
Nach ersten musikalischen Aktivitäten dort begann seine eigentliche Karriere in den USA, wo er den Part des Pianisten im international führenden „Beaux Arts“-Klaviertrio übernahm und – mit wechselnden Partnern – mehr als fünfzig Jahre ausfüllte. Das Erstaunlichste aber: Seit Auflösung des Trios im Jahr 2008 setzt Menahem Pressler seine in den 1950er Jahren zurückgestellte Karriere als Solist am Klavier fort, bestaunt und umjubelt vom Publikum.
Drei „Gespräche über Musik“ (nebst einem Schlusskommentar) enthält die vorliegende Buchveröffentlichung, in der Pressler den Blick zurück auf sein Leben als Künstler wirft. Holger Noltze, Musikjournalist und Professor
für Musik und Medien an der TU Dortmund, ist ihm dabei intelligenter Dialogpartner und Stichwortgeber. „Musik und Leben“, „Musik machen“ und „Musik hören“ sind die weit gespannten Rahmenthemen, in denen sich der Diskurs entwickelt.
Erinnerungen werden wach: an die Lehrzeit und die künstlerischen Vorbilder sowie an die günstigen Zufälle, die Pressler erst in Palästina und dann in den USA erfolgreich werden ließen. Der Leser erhält Einblicke in das nicht immer spannungsfreie Innenleben des Beaux Arts Trio und begegnet dem Pianisten als einem lustvoll übenden, mit dem Erreichten nie zufriedenen Künstler, der stets anstrebt, nicht nur „sauber“, sondern „tief“ zu spielen. Er gewinnt das Bild eines skrupulösen Künstlers, der sich Gedanken über die ganz andere Kunst des Anschlags und der Tonformung beim Solo- oder beim Trio-Spiel macht, und darf, mit Blick auf die Gegenwart, das Staunen Presslers nachvollziehen, dass sein „Kopf noch offen ist“, um Neues zu lernen und „dass ich mit der Stärke eines eigentlich jungen Mannes empfinde“.
Was immer auch im Detail erörtert wird, so kommt das Gespräch stets auf das Grundthema von Presslers Musik- und Lebensanschauung zurück: die geradezu platonisch begriffene Idee vom „Schönen“, das sich in Musik und Musikausübung manifestiert, jenseits alles Hässlichen in der realen Welt, das man zwar nicht verdrängen, aber durch die Vertiefung in die Tonkunst ertragbar machen kann. Diese Anschauung ist offenbar die Konstante in Presslers Leben, geformt in seiner Jugend, wo das Musizieren zum Überlebensmittel wurde, um den beginnenden Nazi-Terror gegen die jüdischstämmige deutsche Bevölkerung auszuhalten: „Die Angst kam nicht in die Nähe des Klaviers… Da gab es wirklich nur das Suchen nach Schönheit.“
Gerhard Dietel